Schirmherren gibt es allerorten. Nur in der Kirchheimer Stadtverwaltung scheint ein solcher zu fehlen, der sich schützend vor die Schirme des Gastwirts Dirk Storm stellen würde: Der hat sein Pub am Marktplatz nach sieben Monaten der pandemie-bedingten Schließung gerade mal seit einer Woche wieder geöffnet – und schon gibt es ein Problem wegen seiner Sonnenschirme. Nicht, dass Schirme generell untersagt wären. Aber die vielgepriesene Buntheit gilt bei den Schattenspendern offensichtlich nicht: Weiß ist hier die einzige Farbe, die zählt. Bevor jetzt aber jemand auf die Idee käme, deswegen über die Grünen zu schimpfen – die können nichts dafür: Die Stadtverwaltung ist den grünen Schirmen von selbst nicht grün.
„Eigentlich hätte ich generell gern grüne Schirme“, sagt Dirk Storm und verweist auf den wichtigen symbolischen Zusammenhang zwischen der Farbe Grün und einem Irish Pub, das Bier und Stimmung der Grünen Insel in die Welt trägt, unter anderem auch nach Kirchheim. In Illinois wird zu Ehren der Iren schon seit 60 Jahren am St. Patrick‘s Day Mitte März der Chicago River komplett grün gefärbt. In Kirchheim dagegen scheinen schon grüne Schirme ein absolutes No-Go zu sein.
Dirk Storm hat sich noch nicht einmal bewusst für grüne Schirme entschieden: „Die Schirme, die ich bisher hatte, waren weiß. Aber nach fünf Jahren waren sie so zerschlissen, dass ich sie austauschen musste.“ Das ist nach sieben Monaten Lockdown durchaus auch ein finanzieller Kraftakt: „Da hat man eben nicht auf die Schnelle 3 500 Euro für neue Schirme übrig.“ Recht froh war er deshalb, dass er von seiner Brauerei neue Schirme gestellt bekam. Dass die Schirme in deren Hausfarbe gehalten sind – einer Art Jägergrün, das er selbst aus gutem Grund auch als „Schwarzwaldgrün“ bezeichnet –, störte ihn nicht: Bis sich die Stadt Kirchheim bei ihm meldete und anordnete, dass er die grünen Schirme auf gar keinen Fall öffnen darf. Eigentlich dürften sie noch nicht einmal in geschlossenem Zustand auf dem Marktplatz stehen, weil sie diesen, nach offizieller Lesart, durch ihre Farbgebung offenbar verunzieren würden.
Weil Dirk Storm ein größeres Interesse an Schirmen hat, die er öffnen darf, als an solchen, die er noch nicht einmal geschlossen aufstellen sollte, hat er bereits reagiert und nolens volens neue Schirme bestellt. Die Lieferung verzögert sich allerdings. Er rechnet damit, dass er sie bis in vier Wochen tatsächlich erhält.
Bis dahin hätte er sich sehr gefreut, wenn ihm die Stadt kulanterweise erlauben würde, in der Zwischenzeit auch den grünen Schirmstoff aufzuspannen, bis Abhilfe in Sicht ist. Er hätte sich in diesem Fall ein wenig „mehr Fingerspitzengefühl“ gewünscht – also wenigstens die Übernahme einer vorübergehenden „Schirmherrschaft“ seitens der Stadt.
Stadt sieht „keinen Spielraum“
Die Stadt scheint aber nicht mit sich handeln zu lassen. In der Antwort auf eine Presseanfrage heißt es: „Die Vorschriften zur Sondernutzung erlauben keinen Spielraum – solange keine zulässigen Sonnenschirme vorhanden sind, dürfen auch keine aufgestellt werden.“ Die Richtlinien werden den Wirten zusammen mit der Sondernutzungserlaubnis zugesandt. Seit Oktober 2016 ist auch die Farbe der Sonnenschirme in der Gastronomie geregelt, „um ein einheitliches Stadtbild sicherzustellen“. Zulässig sind demnach „ausschließlich frei stehende Sonnenschirme“, die zudem „in Weißtönen gehalten werden müssen“. Ein Werbeverbot gebe es aber nicht: „Ein kleines Logo am Volant ist erlaubt“ – vielleicht sogar in Grün.
Kommentar: Weiß und Weiß ist einerlei
Andreas Volz über das einheitliche Stadtbild Kirchheim
Kräftig scheint er zu wiehern, der Amtsschimmel: Da ist es eigentlich kein großes Wunder, wenn ihm bei der Frage nach der idealen Farbe für Sonnenschirme, die Gastronomen in der Innenstadt aufstellen wollen, nur Weißtöne in den Sinn kommen. Schließlich ist auch einem Schimmel das eigene Fell deutlich näher als eine buntgescheckte Satteldecke. Andere haben dagegen weniger Verständnis für die hohe Schule der Lipizzaner: Ein gleichmacherischer Farbton ist nämlich schlicht und ergreifend langweilig.
Kirchheims Innenstadt besticht gleichwohl durch ihre Ensemblewirkung – als Fachwerkstadt, die einheitlich in den Jahren nach dem Stadtbrand von 1690 erstanden ist. Noch gibt es genügend malerische Fachwerkhäuser. Diese begeistern die Besucher der Stadt vor allem auch dadurch, dass sie sich voneinander unterscheiden – in der Art des Fachwerks ebenso wie in der Farbgestaltung von Hölzern und Gefachen. Ein bisschen mehr Farbe bei den Sonnenschirmen würde folglich das Stadtbild nicht gefährden. Die zusätzliche Farbe würde der Stadt eher noch einen zusätzlichen Reiz verleihen. Es müssen ja nicht gleich schrille Neonfarben sein.
Erfahrene Touristen orientieren sich übrigens an den unterschiedlichen Sonnenschirmen – um zu wissen, zu welchem Lokal Tische und Stühle gehören. Speisen- und Getränkeauswahl sowie der Preis spielen bei der Entscheidung, wo man sich niederlässt, eine große Rolle. Und die Sonnenschirme markieren gewissermaßen die „Reviere“. Die Farbe ist dabei ein wesentliches Erkennungsmerkmal.
Die Farben zu regeln, um Wildwuchs zu vermeiden, mag ein berechtigtes Anliegen sein. Aber vielleicht sollte die Stadt eine größere Auswahl vorgeben als die zwischen Weiß und Weiß. Ein Trost bleibt vorerst: Bier darf weiterhin auch schwarz sein.