Die Regeln des Poetry-Slams sind schnell erklärt: Selbst verfasste Texte, die abgelesen werden dürfen, werden vorgetragen – verboten sind aber Hilfsmittel, und jeder der sieben Kandidaten hat ein Zeitlimit von gefühlten sechseinhalb Minuten. Der Dichterwettstreit ist das erste Event von „Club Bastion goes Open Air“, das der Kulturklub nun zum dritten Mal veranstaltet.
Los geht es mit Mitja. Noch neu in diesem Genre verrät er: „Ich war in der Gegend und dachte, vielleicht kann ich auf die Bühne.“ Der 24-Jährige aus Schwäbisch Gmünd gab unabhängig vom Wettbewerb quasi als Opener seine Sicht der Dinge zum Thema „Standard“ zum Besten.
Micha-El Göhre hingegen mag es wild, dreckig und setzt sich mit der gründlichen Endreinigung einer Hamburger Mietwohnung auseinander, zu der man beim Auszug aus selbiger verpflichtet ist. Er schaut bei seinem Rundgang auch in den Kühlschrank und sagt: „Wenn das Essen ist, will ich nicht wissen, wie die Kotze aussieht!“ Dann erzählt der 47-jährige von Großstadtmenschen mit „assiger Familienchronik“ aus NRW, bei denen ständig das Wort „Hurensohn“ fallen würde. „Es ist doch meine Entscheidung, was ich sein will, meine Großmutter hat mich zum Hurenenkel gemacht“, betont Micha-El Göhre und ergänzt: „Für unsere Herkunft können wir nichts, aber für das, was wir daraus machen.“
Halb Ungar, halb Finne, ist Henrik Szanto seit 2012 als selbst ernannte „Umstandsmischung“ als Autor und Spoken-Word-Künstler unterwegs. Sein Buchtitel habe 18 Buchstaben, davon neun mit „y“, so der 34-Jährige aus Hannover, und er verrät: „Finnen lieben nicht, sie ertragen.“
Es stinkt nach Zwerg
Hannah Haberberger aus Fürth wollte in ihrer Pubertät „unbedingt aufhören zu wachsen“ und nennt als Grund Rückenschmerzen und ständig dumme Sprüche. „Hallo Baby-Giraffe, spielst du Basketball, bei GNTM bewerben, Glühbirnen abstauben oder irgendwas vom oberen Regal holen“, nennt die 23-Jährige Beispiele. Nichtsdestotrotz bleibt sie keine Antwort schuldig. Als jemand wissen wollte, wie die Luft da oben sei, antworte sie: „Stinkt nach Zwerg!“
Francesca Runchina, die eigentlich nie Angst im Dunkeln hatte, regte mit ihrem Vortag zum Nachdenken an. Denn nun versteckt sie ihre langen Haare im Hoody, hält den Schlüssel in der Hand und fühlt sich unwohl, wenn ihr eine Gruppe Jungs entgegenkommt. Unangenehme Blicke, blöde Sprüche, nahes Herankommen. „Es macht mich wütend, zu sehen, wie die Gesellschaft Stück für Stück zerbricht“, bedauert die 22-Jährige aus Ötisheim und folgt dem Wunsch ihrer Mutter: „Schreib kurz, wenn du zu Hause bist.“
Heute Morgen habe sie den Text dazu geschrieben, verrät Nicole Mann, die ein Statement für die „Selbstliebe“ setzte. Ihre Erkenntnisse: Gefühle dürfen zugelassen werden – und es ist auch ok, sich verletzlich zu zeigen. Wichtig ist auch, „selbst Zeit mit sich zu verbringen und zu meditieren, statt Freunde zu treffen“, so die 25-jährige Stuttgarterin.
Henri Kruse ist der Einzige, der in Reimform begeisterte. Und das als „Pisser“. Was ihm allerdings als Kind im Bus passiert ist. Er verrät: „Obwohl es bis zum Harndrang noch ziemlich weit war, pisste ich in die Hose.“ Er redet schnell und deutlich und haut das Desaster mit einer Energie raus, dass man kaum hinterherkommt, sein eigenes Mitgefühl für seine Situation zu verdauen. „20 Jahre später bin ich ‚Kontinenzer‘ “, so der 29-Jährige aus München, der sich als Kind „krass dafür geschämt hat“.
Benjamin Poliak aus Düsseldorf überzeugte mit einem Potpourri an Themen und spricht über seine „Identität“. Dass ihn seine russische Mutter noch immer „Häschen“ nennt und er väterlicherseits jüdisch säkular aufgewachsen ist. Poetry-Slams haben ihn als promovierenden Juristen selbstbewusster gemacht. Der 23-Jährige sagt: „Ich bin so naiv, Omas machen den Enkeltrick mit mir.“
Am Ende ging Benjamin Poliak als Sieger des Wettstreits hervor, im Finale gegen Micha-El Göhre und Hannah Haberberger überzeugte er zum Thema „Veganismus“.
Zwischendurch fragen sich Nadja und Thorsten als Gesangsduo „Kleinlaut“: „Wo bist du geblieben, bei Schnaps Nummer sieben?“ Auch die Poetry-Slammer zeigen große Gefühle, präsentierten kurzweilige Einblicke in „ihre“ Welt des geschriebenen und gesprochenen Wortes. Mal einfach nur witzig, mal mit sensibler Botschaft, mal fragil, mal mit Wumms – jede und jeder stand an diesem Abend auch am Beifall gemessen zu Recht auf der Bühne.