Kirchheim
Ist das „Ja“ Pflicht? Pflegekräfte sind verärgert über geplante Gründung der Pflegekammer

Gesundheit Das Land lässt Pflegekräfte über die Gründung einer Interessenvertretung abstimmen. Das „Wie“ findet die Zielgruppe jedoch fragwürdig. Von Thomas Zapp

Die Pflegekammer soll ihre Interessen vertreten, aber viele Pflegekräfte sehen dafür keine Notwendigkeit. Foto: Markus Brändli

Daniela Hellrung ist seit 32 Jahren berufstätig, den größten Teil als Krankenschwester, seit Dezember 2022 als Pflegefachkraft im ABS Seniorenzentrum an der Lauter in Kirchheim. Den Brief des Gründungsausschusses hat sie auch bekommen. Sie musste nicht lange überlegen, was sie tut. „Ich habe sofort Einspruch eingelegt“, sagt sie. Damit liegt sie innerhalb der Einspruchsfrist, die am heutigen Freitag, 23. Februar, ausläuft. 

Hellrungs Hauptkritik gilt dem, was eine Mitgliedschaft so mit sich bringt: „Angeblich soll die Mitgliedschaft acht Euro im Monat kosten. Und Weiterbildungen sind verpflichtend, dafür müssen wir dann auch die Fahrtkosten übernehmen“, ärgert sie sich. Dazu merkt die Sprecherin des Gründungsausschusses der Pflegekammer, Alexandra Heeser, auf Anfrage des Teckboten an: „Ordnet der Arbeitgeber die Teilnahme an einer Fortbildung an oder


Man kann mich ja nicht zwingen. 
Dennis Wenzel ist Pfleger in Denkendorf und lehnt eine Mitgliedschaft ab.

 

handelt es sich – wie von Ihnen gefragt – um eine Pflichtfortbildung, ist dies vergütungspflichtige Arbeitszeit und der Arbeitgeber bezahlt diese – inkl. Fahrt dorthin – in den allermeisten Fällen. Dies ist jedoch schlussendlich abhängig davon, welche Regelungen es vor Ort zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat oder der Mitarbeitendenvertretung gibt.“

Stefan Wieland, Sprecher der Zieglerschen, die das Henriettenstift in Kirchheim betreibt, sieht die Initiative positiv: „Grundsätzlich können wir die Ziele der Pflegekammer sehr gut nachvollziehen. Wir sind überzeugt, dass Pflegekräfte eine starke Stimme im politischen Diskurs brauchen.“ Die Entscheidung für oder dagegen müsse jeder und jede für sich selbst treffen.

Doch genau darin liegt offenbar das Problem. Daniela Hellrung weiß nicht, ob ihr Einspruch akzeptiert wird. Denn der Gründungsausschuss hat bestimmte Kriterien, ob eine „Einwendung“ berechtigt ist oder nicht. Im Anschreiben an die Pflegekräfte liest sich das so: „Eine Einwendung ist zum Beispiel berechtigt, wenn die Voraussetzungen der Pflichtmitgliedschaft nach § 2 Absatz 1 LPKG nicht vorliegen. Dies ist etwa der Fall, wenn keine pflegerische Tätigkeit mehr ausgeübt wird oder eine Person verrentet ist.“ Dabei geht es nur um die Registrierung, was nicht akzeptiert wird, ist „zum Beispiel, dass kein Interesse an der Landespflegekammer Baden-Württemberg besteht oder allgemein eine Pflichtmitgliedschaft abgelehnt wird“.

 

Kritik von Verdi

Die Gewerkschaft Verdi kritisiert dieses Verfahren scharf: „Wer ,Ja‘ sagt, muss nichts machen, wer ,Nein‘ sagt, muss begründet innerhalb von sechs Wochen Einwände vorbringen. Von einem demokratischen Quorum kann in diesem Verfahren keine Rede sein. Sollte die Kammer kommen, wird sie für immer mit dem Makel einer fehlenden echten Legitimation leben müssen“, betont Landesfachbereichsleiter Gesundheit und Soziales Jakob Becker.

Auch Pflegekraft Dennis Wenzel findet das Vorgehen „ein bisschen frech“. Er hat ebenfalls Einspruch eingelegt, weiß aber noch nicht, ob dieser akzeptiert wird. „Ich bin einfach gegen eine Pflichtmitgliedschaft“, führt der Köngener aus, der im evangelischen Pflegeverein in Denkendorf arbeitet. Auch dass die Einrichtungen verpflichtet sind, die Daten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterzugeben, hält er für problematisch.

Er sehe auch keinen Sinn in einer Einführung. In seiner Heimat Niedersachsen sei die Pflegekammer wieder aufgelöst worden. Wenzel, Mitglied bei der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft CDA, findet, es gebe innerhalb der Einrichtungen genügend Möglichkeiten, seine Interessen zu vertreten. Jakob Becker von Verdi stößt ins selbe Horn und sieht in der Pflegekammer einen Konkurrenten, der ohne Not ins Leben gerufen wird: „Dem Sozialministerium haben wir als Interessenvertretung von zigtausenden in Verdi organsierten Pflegekräften x-mal erklärt, woran es in der Pflege mangelt. Oft auch gemeinsam mit anderen Verbänden. Warum berechtigte Forderungen eine bessere Chance auf Umsetzung haben, wenn sie von einer Kammer formuliert werden, erschließt sich uns nicht.“

 

Reaktion auf Verdi

Der Gründungsausschuss der Landespflegekammer hat auf die Verdi-Kritik reagiert. „Jede Pflegefachperson hat – so hat es der Landtag im vergangenen Jahr beschlossen – die Möglichkeit, sich zu entscheiden, ob sie Mitglied der Kammer werden will oder nicht“, steht dort zu lesen. Allerdings heißt es in derselben Mitteilung zum Thema Pflichten für Pflegekräfte: „Es wird die Pflicht zur Mitgliedschaft geben. Weitere konkrete Pflichten sind mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt“, wird Gabriele Hönes, stellvertretende Vorsitzende des Gründungsausschusses, zitiert. Die Formulierung sorgt zumindest für Verwirrung. Eine Nachfrage des Teckboten wurde bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.

 

Entscheidung fällt am 23. Februar

Der Landtag von Baden-Württemberg hat in seiner Sitzung am 24. Mai 2023 das Landespflegekammergesetz verabschiedet. Mit der geplanten Gründung einer berufsständischen Vertretung aller Pflegefachkräfte im Land sollen diese mehr Selbstverantwortung bekommen. Nach der Verbändeanhörung und Veröffentlichung auf dem Beteiligungsportal im Dezember 2022 und Januar 2023, wo der Entwurf überwiegend Zustimmung fand, kommt der Prozess nun zu seinem Ende. Pandemiebedingt ruhte er im Herbst 2020 vorübergehend.
Seit dem 8. Januar sind rund 114 000 Pflegefachkräfte angeschrieben worden, die zuvor von ihren jeweiligen Arbeitgebern beim Gründungsausschuss der Pflegekammer Baden-Württemberg gemeldet wurden. Der Ausschuss bietet seit Dezember Informationsveranstaltungen an,
Die Pflichtmitgliedschaft begründet das Sozialministerium damit, dass „nur bei Erfassung aller Mitglieder ... auch eine sachgemäße Berufsaufsicht im Rahmen der Selbstverwaltung und die Übernahme der im vorliegenden Gesetz näher konkretisierten Aufgaben gewährleistet (sei) – insbesondere im Bereich der Fort- und Weiterbildung und der Qualitätssicherung.“ Ein freiwilliger Zusammenschluss der Pflegeberufe erreiche dieses Ziel nicht, da damit keine vollständige Repräsentanz des Berufsstands gewährleistet sei.
Die Entscheidung fällt am heutigen Freitag. Sollten bis dahin weniger als 40 Prozent der Beschäftigten einen Einwand gegen die Registrierung erheben, wird die Pflegekammer errichtet. Das Ergebnis wird am 25. März, bekannt gegeben. zap/pm