Dr. Julian Feinauer und Alexander Schierle sind seit 2022 und 2023 Vorsitzende des Bundes der Selbstständigen (BdS) in Kirchheim. Schierle ist Geschäftsführer von Animation, Feinauer führt das Unternehmen pragmatic industries.
Ist die „Alternative für Deutschland“ (AfD) für Selbstständige wählbar?
Alexander Schierle: Wer mit seinem Unternehmen für Themen wie freie Marktwirtschaft, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit steht, für den ist die AfD nicht wählbar. Das ist jedoch meine persönliche Meinung. Wir können natürlich nicht für den gesamten BDS sprechen.
Dr. Julian Feinauer: Man kann es auch so formulieren: Ist eine Partei, in der der Referent einer Landtags- und späteren Bundestagsabgeordneten nach Aussagen wie der folgenden noch geduldet wird: ‘Ich wünsche mir so sehr einen Bürgerkrieg mit Millionen Toten. Frauen, Kinder. Mir egal. Es wäre so schön. Ich will auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen. Sieg Heil!’ für einen Selbstständigen wählbar? (Anmerkung der Redaktion: Der Zitierte, das ehemalige NPD-Mitglied Marcel Grauf, war bis 2021 Mitarbeiter der AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum und Heiner Merz in Stuttgart) Nein, sie ist für niemanden wählbar.
Die AfD fordert Bürokratieabbau, verspricht ein investitions- und innovationsförderndes wirtschaftliches Umfeld, will auf breiter Front deregulieren. Das müsste doch eigentlich Musik in Ihren Ohren sein.
Dr. Feinauer: Das ist ein ganz spannender Punkt. Wenn man sich den wirtschaftspolitischen Teil des Wahlprogramms der AfD anschaut, dann liest der sich in der Tat sehr gut. Allerdings muss man sich schon fragen, wieviel das Papier am Ende wert ist. Gleich beim ersten Teil, dem Abbau von Subventionen, bin ich in der aktuellen Situation ein wenig skeptisch. Denn die AfD war ganz stark dabei, die Bauern bei ihren Protesten zu unterstützen, die sich genau über den Abbau von Subventionen beschwert haben. Und man hat sich vor die Bauern gestellt und gesagt: Natürlich kann man diese Subvention nicht abbauen.
Die AfD schließt die Gewinnung ausländischer Fachkräfte nicht aus, fordert aber, Deutschen immer den Vorzug zu geben. Was halten Sie davon?
Dr. Feinauer: Grundsätzlich ist das kein vollkommen abwegiger Gedanke. Was wir aber im IT-Bereich sehen, ist, dass die Bewerber mit deutscher Staatsbürgerschaft teilweise schon sehr selbstbewusst auftreten, auch bezüglich des Gehaltsniveaus. Ich wüsste gar nicht, wie ich mit einer solchen Regelung in der Praxis umgehen sollte. Sind wir dann bei der Deutschen-Quote? Wird ein mittelmäßig fähiger Deutscher einer sehr fähigen Fachkraft mit anderer Staatsbürgerschaft automatisch vorgezogen? Wollen wir das?
Und passt das überhaupt zum Ziel, die Bürokratie abzubauen?
Dr. Feinauer: Das ist dann der nächste Punkt.
Bei einer Kurzumfrage des BDS-Landesverbands im Januar mit 570 Teilnehmerinnen und Teilnehmern kam heraus, dass über 50 Prozent eine öffentliche Distanzierung von der AfD befürworten würden. 30 Prozent halten das hingegen nicht für notwendig. Wie ordnen Sie das ein?
Dr. Feinauer: Letztendlich haben wir als Verband eine gewisse Problemstellung. Es gibt Mitglieder, die klar fordern, sich von der AfD zu distanzieren, beispielsweise aufgrund von Aussagen, die von Funktionären getroffen wurden und von Punkten, die im Parteiprogramm stehen. Auf der anderen Seite haben wir Mitglieder, die sich dagegen sträuben und teilweise der Partei anhängen. Wie die Umfrage zeigt, haben wir eine größere Zahl an Mitgliedern, die sich für eine Distanzierung ausspricht. Wir haben aber auch eine nicht zu vernachlässigende Zahl an Menschen, die es für nicht nötig hält oder sich sogar klar für die AfD ausspricht. Wir als Vorstand haben in unseren Diskussionen gesagt: Das Votum ist in keine Richtung so eindeutig, als dass wir als Verband klar Stellung beziehen könnten.
Das heißt, Sie haben sich als BDS nicht von der AfD distanziert?
Dr. Feinauer: Wir distanzieren uns aktuell nicht von der AfD. Wir distanzieren uns klar von Rechtsextremismus und jeder Art von Extremismus, der die Demokratie unterläuft, auch dem Linksextremismus. Das haben wir auch bei der Demonstration in Kirchheim getan.
Schierle: Gemäß Satzung müssen wir uns parteipolitisch neutral verhalten. Aber dass wir uns als BDS an der Demonstration beteiligt haben, spricht, denke ich, für sich. Die Demonstration in Kirchheim war explizit gegen Rechtsextremismus/pro Demokratie, und nicht gegen Extremismus im Allgemeinen ausgerichtet. Wir wurden auch gefragt, warum das so ist. Mein Argument war: Natürlich haben wir auch Linksextremismus in Deutschland, aber der ist gerade das deutlich geringere Problem. Da reicht ein Blick in Verfassungsschutzbericht.
Immerhin 7,5 Prozent der Befragten sind in der Kurzumfrage des BDS-Landesverbands der Meinung, dass die AfD ihre Interessen als Unternehmer/Selbständige am besten vertritt. Damit liegt die Partei weit hinter CDU/CSU mit rund 30 Prozent, aber noch deutlich vor den Grünen und der SPD. Woran liegt das?
Dr. Feinauer: Aktuell hat die AfD ja sehr wenig Regierungserfahrung. Die Frage, wie gut sie in der Realität Interessen vertritt, ist also eine hypothetische. Was ein Teil der Menschen vermutlich versucht zu sagen, ist dass die etablierten Parteien ihre Interessen nicht gut vertreten. Das ist etwas, das wir tatsächlich als Problem sehen. Der Mittelstand rutscht oft durchs Raster in der Bundes- und Landespolitik.
Die Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ist unter Selbstständigen groß. In der Kurzumfrage unter 570 Teilnehmern erhält die Koalition nur die Note 4,9. Was müsste sich aus Sicht der Selbstständigen ändern?
Dr. Feinauer: Das ist eine sehr große Frage für einen sehr kleinen Ortsverband. Das Thema, das immer und überall passt, ist das Thema Bürokratieabbau. Wir bauen permanent neue Regeln auf. Der Normenkontrollrat ist ein sehr zahnloser Tiger, und wir schaffen es nicht, uns von alten Gesetzen zu trennen. Wir haben in der IT den Digital Service Act neu auf den Tisch bekommen, wir bekommen nächstes Jahr den Cyber Resilience Act. Das sind gute und sinnvolle Regelungen, aber sie gehen immer mit einem großen Bürokratieaufbau in den Unternehmen einher. Und, das darf man nicht vergessen: Jede dieser Regelungen verursacht an zwei Stellen Kosten. Einmal im Unternehmen und einmal beim öffentlichen Träger, der entsprechende Kontrollinstanzen einführen muss. Auch bei den Themen Digitalisierung und Infrastruktur, beispielsweise der Erreichbarkeit der Unternehmen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, gibt es viel Luft nach oben.