Redakteur Bernd Köble meint: Ja, ich habe in diesem Leben sechs Kontinente bereist und dabei so viele Flugkilometer gesammelt, dass ich das, was man heutzutage einen ökologischen Fußabdruck nennt, vermutlich nie wieder werde ausbügeln können. Und nein, ich bin trotz des unbestreitbaren Ernsts der Lage nicht der Meinung, dass ferne Länder zu bereisen angesichts einer sich auf der Welt immer klarer abzeichnenden Klimakatastrophe völlig tabu sein sollte. Oft lässt sich eben nur begreifen und zuverlässig einordnen, was man mit eigenen Sinnen erfasst. Ohne Frage: Reisen kann toleranter machen gegenüber Fremdem, es kann den Horizont weiten und günstigstenfalls dabei helfen, ein lange Zeit unreflektiertes Selbstbild in Relation zu setzen. Das gilt auch auf einem bis in den letzten Winkel ausgeleuchteten Erdball, der für alle kleiner und weniger geheimnisvoll geworden ist. Und trotzdem frage ich mich: Haben wir angesichts einer sich dramatisch verändernden Welt ein dauerhaftes Recht auf massentauglichen Freizeitverkehr, der allein vom eigenen Geldbeutel gelenkt wird? Auf Hoteldusche und Poolspaß in Dürregebieten, auf Rundum-Sorglos-Pakete in Armutszonen?
Das Auge einmal auf das zu richten, was direkt vor der Haustür liegt, muss keinen Verzicht, erst recht nicht Alltag bedeuten. Wer sich drauf einlässt, entschleunigt und frei von Pflichten das vermeintlich Gewöhnliche wirken zu lassen, wer sich auf Entdeckungstour wagt, wo tägliche Routine den Blick fürs Verborgene verstellt, der könnte überrascht sein, was sich auftut. Statt wertvolle Lebenszeit zu opfern für selbstgewählten Stress auf überfüllten Flughäfen, lärmenden Bahnsteigen oder verstopften Autobahnen, statt tagelanger Vor- und Nachbereitung heißt es dann: Erholung von Anfang an. Ich habe beschlossen, den Urlaub daheim zu verbringen, und ich freue mich drauf. Auf ein abendliches Picknick am herrlichen Albtrauf, mit Tomaten zur Haupterntezeit aus dem eigenen Garten, auf die ausgedehnte Radtour ohne Anschlusstermin, das späte Frühstück im Lieblingscafé nach erholsamer Nacht im eigenen Bett oder auf den Kultursommer in der Stadt. Bisher war ich da allzu oft verreist.
Tourismus-Expertin Dr. Heike Schänzel meint: Ja, auch ich habe sechs Kontinente und inzwischen 52 Länder bereist und gehöre somit zu den Vielreisenden. Und ja, ich habe auch weiterhin vor, andere Lebensweisen, andere Kulturen mit all ihren Problemen kennenzulernen. Laut Mark Twain ist Reisen tödlich. Und zwar für Vorurteile, Bigotterie und Engstirnigkeit. Allerdings nur bei dem, der bewusst reist. Das heißt zunächst: nicht dorthin reisen, wohin internationale Konzerne die Massen locken, sondern lokale Unternehmen zu unterstützen, wo die Gemeinschaft vom Tourismus lebt, weil es andere Einnahmequellen nicht gibt. Nicht nur im reichen Europa zu reisen oder das Geld allein in Deutschland auszugeben, sondern vielleicht auch mal nach Asien, Afrika oder Südamerika zu fliegen, um dort bewusst längere Zeit zu verbringen. Generell gilt: Reisen ist nur dann nachhaltig, wenn es dem Wohlbefinden der lokalen Bevölkerung dient und nicht dem Eigeninteresse der Urlaubermassen.
Also: Statt Pauschalurlaub auf Gran Canaria oder auf Kreuzfahrtschiffen lieber Trekking in Nepal – solange lokale Anbieter davon profitieren. Das setzt zugegebenermaßen etwas Recherche voraus, doch längst gibt es fast überall nachhaltig ausgerichtete Angebote, die auch nicht teuer sein müssen. Laut Jarkko Saarinen, Professor für nachhaltigen Tourismus in Finnland, liegt das Problem nicht bei Familien, die einmal im Jahr eine Auslandreise unternehmen, sondern bei den Viel- und Kurzzeitfliegern. Sein Herkunftsland kennenzulernen und wertzuschätzen, sich mit seiner eigenen Kultur und Zugehörigkeit auseinanderzusetzen, ist generell gut. Die Frage, ob Urlaub daheim, ob Flugscham heutzutage ein Muss ist, lässt sich trotzdem nicht einfach beantworten. Globalisierung und weltweite Migration ist eine Realität, und Flugzeuge bringen hauptsächlich Familien zusammen, die auf der Welt verstreut sind. Ich gehöre auch dazu, denn ohne Flugzeug komme ich so schnell nicht wieder zurück aus Neuseeland nach Deutschland.
Info Heike Schänzel ist Professorin für soziale Nachhaltigkeit im Tourismus an der University of Technology in Auckland. Sie stammt aus Owen und lebt seit 33 Jahren in Neuseeland.