Kirchheim
„Jedes Kreuz ist ein Ausrufezeichen“

Versöhnung Am gestrigen Volkstrauertag in Kirchheim nahm zum ersten Mal eine Delegation aus der französischen Partnerstadt Rambouillet an der Gedenkfeier auf dem Alten Friedhof teil. Von Thomas Krytzner

Das triste Novemberwetter gab dem gestrigen Volkstrauertag den passenden Anstrich. Trotz Kälte und Nässe versammelten sich auf den Friedhöfen in Kirchheim, Jesingen, Ötlingen und Lindorf Hunderte, um den Kriegsopfern zu gedenken. Für Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker ist dieser Tag gleichzeitig auch Erinnerung, damit die Vergangenheit nicht vergessen wird. Umso freudiger zeigte sie sich, dass zum ersten Mal eine Delegation aus Rambouillet an der Gedenkfeier teilnahm. „Es tut gut, Euch an unserer Seite zu wissen“, begrüßte Angelika Matt-Heidecker die Freunde aus der französischen Partnerstadt.

Janine Christienne vertrat den Bürgermeister Marc Robert und verlas seine Botschaft. Dieser Tag sei voller Emotionen im Gedenken an die Menschen, die ihr Leben gaben, damit heute Friede und Harmonie im vereinten Europa herrsche. „Deutschland, Frankreich, ganz Europa haben gesehen, wie ihre Kinder fortgingen, im Kampfe fielen, um ihr Vaterland zu verteidigen.“ Marc Robert mahnte: „Seien wir wachsam, dass ihr Opfer nicht vergebens ist.“ Der Bürgermeister der Stadt Rambouillet lobte die deutsch-französische Freundschaft als Modell einzigartiger Versöhnung. Er fordert: „In dieser Zeit, in der die Versuchung, sich rückwärts zu orientieren, zurückkehrt, müssen wir wachsam sein.“ Passend zu dieser Botschaft trugen Schüler des Ludwig-Uhland-Gymnasiums Gedichte vor.

Angelika Matt-Heidecker nannte den Kern der europäischen Identität: „Nie wieder Krieg.“ Mit Europa seien die Immunität gegen Krieg, die Notwendigkeit zum Dialog sowie Solidarität und Demokratie geschenkt. Unterschiedliche Ansätze könne man miteinander zum Konsens bringen. „Das ist die Seele Europas.“ Die Oberbürgermeisterin erinnerte an die 657 Kirchheimer, die als Soldaten auf den Kriegsschauplätzen in ganz Europa fielen. Weitere 456 wurden vermisst. „Deren Familien erhielten nie Gewissheit, was mit ihren Lieben geschah“. Als im Juni 1944 die Alliierten in der Normandie in Frankreich landeten, verloren bis zur Eroberung von Paris im August 1944 über 200 000 deutsche Soldaten und 70 000 der Alliierten ihr Leben. Rund 20 000 Zivilisten starben in der Normandie. Bewegt stellte die Oberbürgermeisterin fest: „Die gefallenen deutschen Soldaten liegen in fremder Erde, nicht, weil sie als Befreier, sondern als Besatzer ins Land gekommen waren.“ Es sei zwar bitter, aber die Gefallenen seien im Zweiten Weltkrieg das Instrument eines kaltblütig geplanten Vernichtungskrieges geworden. „Wenn wir heute hier stehen, heißt versöhnen nicht totzuschweigen oder einen Schlussstrich zu ziehen, sondern sich der Vergangenheit und seiner Verantwortung zu stellen.“ Seit 74 Jahren sei man nun vor Kriegen verschont geblieben, aber man müsse die Lehren aus Vergangenem ziehen und für den Frieden zwischen den Menschen und Völkern einstehen. Mit Sorge stellt die Stadtchefin fest: „Nationalismus und Populismus sind in weiten Teilen Europas, auch in unserem Land, wieder auf dem Vormarsch.“ Dieser Entwicklung sei entschieden entgegen zu treten.

Gewalt ist keine Lösung

Während des Ferienprogramms des Brückenhauses haben sich Kinder mit Krieg und den Atombomben beschäftigt. In einem Brief, den Angelika Matt-Heidecker an der Gedenkfeier vorlas, fordern sie: „Wir wollen, dass so etwas Schreckliches, wie damals in Hiroshima nicht mehr passiert und Atomwaffen abgebaut werden. Wir sind alle eine Gemeinschaft und diese soll uns der Krieg nicht zerstören.“ Die Kinder wünschen sich, dass Probleme der Welt anders gelöst werden. „Gewalt ist keine Lösung“, schrieben sie weiter in ihrem Brief.

Die Oberbürgermeisterin ging in ihrer Ansprache auch auf die Jugendlichen ein, die sagen, dass sie das Thema Nationalsozialismus nicht mehr hören können. „Das ist der Nährboden für Leute, die die Kriegsverbrechen des Nazi-Regimes klein reden und bagatellisieren.“ Fassungslos erinnerte Angelika Matt-Heidecker an kürzliche Ereignisse: „Der Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke sowie das Attentat auf die Synagoge in Halle machen mir Angst.“

Erschreckend war für die Oberbürgermeisterin auch eine Mail nach einer Veranstaltung zur Reichspogromnacht. In diesem Schreiben wurden die Veranstaltung als „manische NS-Hysterie“ bezeichnet. Gegen solche Äußerungen müsse entschieden Stellung bezogen werden: „Wir müssen den rechtsextremistischen Schwätzern laut widersprechen, um ihnen deutlich zu machen, dass sie nicht für uns sprechen. Jedes Kreuz, jeder Grabstein und jede Gedenkinschrift ist ein Ausrufezeichen.“ Die Geschichte des Krieges und der sozialen Ausgrenzung des 20. Jahrhunderts sei immer gegenwärtig. Gemeinsam mit Janine Christienne legte die Oberbürgermeisterin einen Kranz am Kriegsdenkmal nieder.

Später ging‘s gemeinsam mit zum Mahnmal für die zivilen Kriegsopfer, dort konnten die Teilnehmer der Gedenkfeier eine weiße Rose niederlegen. Die Stadtkapelle Kirchheim und der Chor „Happy Voices“ des Gesangvereins Eintracht umrahmten die Gedenkfeier musikalisch.