Den Hund Gassi fahren? Auch das gibt es. Ein Phänomen, das German Kälberer von der Jägervereinigung Kirchheim immer wieder rund um die Teckstadt beobachtet: „Der Halter sitzt hinterm Steuer und der Hund läuft allein vor dem Wagen.“ Dass das gefährlich ist, ist laut dem Kreisjägermeister den wenigsten bewusst. „Taucht nämlich plötzlich ein Reh, Hase oder anderes Wildtier auf, ist der
und der Hund läuft allein vor dem Wagen.
Vierbeiner weg“, so Kälberer. „Das erleben ich und meine Waidkollegen nicht nur bei speziell für die Jagd gezüchteten Rassen. Auch Hüte- oder Gesellschaftshunderassen besitzen einen Jagdtrieb.“
Vor einigen Jahren hatte der Owener mit einer Halterin zu tun, deren Herdenhunde immer wieder ausgebüxt und jagen gegangen sind – bis sie eines Tages vor den Zug liefen. Während Corona ist die Zahl der Haushalte mit Hund auch in der Teckregion gestiegen, wie der Waidmann feststellt: „Einige, darunter vor allem Erstbesitzer, sind mit den Tieren überfordert. Vermutlich haben sie sich im Vorfeld zu wenig Gedanken darüber gemacht, ob die Eigenschaften der Rasse zu ihnen passen und dass der Hund Auslauf und Erziehung braucht.“ Anders ist für ihn nicht zu erklären, dass er auf Vierbeiner trifft, die mit einem GPS-Tracker am Halsband allein oder weit entfernt von Herrchen und Frauchen durch Wald und Flur streifen. Gerade in der sogenannten Brut-, Setz- und Aufzuchtzeit kann es durch frei laufende Hunde, aber auch durch Leute, die zu Fuß oder mit dem Rad abseits der Wege unterwegs sind, zu kritischen Situationen kommen. „Denn in dieser Zeit brüten Vögel, und viele Wildtiere bringen ihren Nachwuchs zur Welt und ziehen ihn auf“, erklärt Gabi Eichler.
Laut der Jägerin beginnt diese Phase am 1. April und endet am 15. Juli. Doch einige Tiere, wie Feldhase oder Dachs, werden schon im Februar geboren. Es ist also Vorsicht geboten. Denn brütende Vögel, die ihr Gelege nicht alleine lassen oder Jungtiere, die nicht so schnell flüchten oder Situationen einschätzen können, sind in dieser Zeit besonders angreifbar, sagt die Waidfrau. Grundsätzlich gibt es in Baden-Württemberg, von Kampfhunden und gefährlichen Hunden abgesehen, keine allgemeine Anleinpflicht. Städte und Gemeinden können in diesem Punkt selbst entscheiden, welche Vorgaben sie machen. Um zu verhindern, dass Gelege zerstört, Alt- oder Jungtiere verletzt oder getötet werden, appelliert Eichler an Hundehalter, ihre Fellnasen trotzdem anzuleinen.
Waldtieren fehlt die Energie
Hinzu kommt nämlich, dass das Wild über den Winter in der Regel seine Energiereserven aufbraucht. Trotzdem muss es im Frühjahr Fortpflanzung, Balz, Brut und Aufzucht bewältigen. Da das Nahrungsangebot in dieser Jahreszeit aber noch begrenzt ist, bedeutet jede Störung einen zusätzlichen Energieaufwand. „Die Folge: Mehr Brutausfälle oder -aufgaben“, mahnt Gabi Eichler. „Dramatisch ist das vor allem auch für gefährdete Arten, die der Naturschutz retten will.“
Hundehalter sind aber beileibe nicht an allem schuld. In den Revieren der Kirchheimer Jägerschaft fallen vor allem Radfahrer auf, weil sie oft die Wege verlassen. German Kälberer hat an der Teck schon erlebt, wie Mountainbiker quer durchs Unterholz den Berg hinunter geschossen sind. Wieder andere joggen morgens um drei mit der Stirnlampe durch den Wald. Dabei sind Wildtiere auch während der Hauptzeit der Nahrungsaufnahme in der Dämmerung und Nacht sensibel gegenüber Beunruhigungen. Aktivitäten in der Natur sollten bei Dämmerung und in der Nacht vermieden werden, damit der Energiehaushalt im Lot bleibt. So sieht es auch Gabi Eichler: „Gebiete, die nicht vom Menschen erschlossen sind, sind selten geworden. Für Wildtiere ist es fast unmöglich, noch durchgehend ruhige Bereiche zu finden.“ Umso wichtiger sei es, auf den Wegen zu bleiben und unnötige Störungen, Stress aber auch Schäden an Lebensräumen, Brut- und Nistplätzen zu vermeiden. So wird auch verhindert, dass im Gelände neue Spuren entstehen, denen andere folgen.
Strafen bei Verstößen gegen den Naturschutz
In der Brut-, Setz- und Aufzuchtzeit sind Wildtiere gegenüber Störungen besonders empfindlich. Wer im Wohnzimmer von Reh und Co unterwegs ist, muss sich deshalb an Regeln halten. Nach Auskunft des Landratsamtes (LRA) Esslingen dürfen Wildtiere weder mutwillig beunruhigt noch ohne vernünftigen Grund gefangen, verletzt oder getötet werden. Das gilt laut LRA auch für deren Nist-, Brut- und Rückzugsräume. Mit Blick auf streng geschützte Arten ist es der Kreisverwaltung zufolge verboten, diese während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderzeit zu stören. Bei einem Verstoß droht ein Bußgeld in Höhe von 50 000 Euro, bei streng geschützten Arten kann sogar eine Straftat vorliegen.
Nicht zuletzt deshalb rät German Kälberer von der Jägervereinigung Kirchheim davon ab, Brut-, Nistplätze und Rückzugsräume anzusteuern, um Fotos oder Filme zu machen. Auch das komme in der Natur rings um die Teck vor. Das LRA weist auch darauf hin, dass Hunde beim Gassi gehen in Sicht- und Rufweite sein müssen. Vierbeiner, die nicht zuverlässig gehorchen, müssen an die Leine. Andernfalls droht eine Geldstrafe von bis zu 5000 Euro. German Kälberer gibt zu bedenken, dass im öffentlichen Bewusstsein oft nur der Hund als Gefahr für Wildtiere wahrgenommen wird. Doch Wildschweine oder auch Dachse können Vierbeiner ernsthaft verletzen. „Zuverlässiger Grundgehorsam schützt nicht nur das Umfeld, sondern auch den Hund selbst“, so Kälberer.
Mit Blick auf Radler gilt: Auf ausgewiesenen Wegen mit mindestens zwei Meter Breite bleiben. Ansonsten können laut LRA bis zu 2500 Euro und in besonders schweren Fällen bis 10 000 Euro Bußgeld fällig werden. German Kälberer rät davon ab, nach dem Motto „Wo kein Kläger, da kein Richter“ zu handeln: „Natur und Biodiversität genießen in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert. Die Hinschaugesellschaft existiert also auch hier.“ dh