Kirchheim
Junge Menschen „versenden“ Botschaften für eine ferne Nachwelt

Zeitreise Während der Sanierung der Martinskirche hinterlegen Jugendliche ein Dokumentenkästchen unter dem Boden der Sakristei und schicken es als Zeugnis aus dem Jahr 2024 in eine unbestimmte Zukunft. Von Andreas Volz

Die Nische unter dem Boden der Sakristei ist wie geschaffen für die „Zeitkapsel“, die der Konfirmandenjahrgang 2024 in der Martinskirche hinterlegt hat.      Foto: Carsten Riedl​​​​

Einen Fund für künftige Archäologen hat die Konfirmandengruppe der Kirchheimer Martinskirche „vergraben“. In der Sakristei, die zum „Raum der Stille“ umgewandelt wird, haben sie eine „Zeitkapsel“ hinterlegt. Architektin Sandra Rapp vom Kirchheimer Büro Bankwitz erzählt von einer Nische, die sich etwa einen halben Meter unter dem Boden befindet: „Das wirkt so, als ob da mal ein Trafo untergebracht war. Für uns war das der passende Ort für die Zeitkapsel.“ Ein besserer hätte sich kaum finden lassen.

Wie lange die schwarze Kiste dort „schlummern“ wird, lässt sich nicht voraussehen. Wenn es nach Sandra Rapp geht, dauert die Zeitreise der Botschaft aus dem Jahr 2024 ziemlich lange: „Das gesamte Loch wird jetzt zugemacht und nicht mehr so schnell geöffnet.“ Die aktuelle Sanierung der Martinskirche ist die erste seit rund 60 Jahren. So lange könnte es auf jeden Fall dauern, bis die Dokumente wieder zum Vorschein kommen. Möglicherweise ziehen auch 300 bis 500 Jahre ins Land, bevor der Boden der einstigen Kapelle an genau dieser Stelle wieder aufgegraben wird.
 

Jugendliche Zeitzeugen

Zu Zeitzeugen werden die 21 Mitglieder des Konfirmandenjahrgangs 2024 so oder so: In 60 Jahren könnten sie noch selbst davon berichten, was ihnen bis dahin im Gedächtnis geblieben sein mag von diesem „praktischen“ Konfirmandenunterricht, den sie Ende Februar erlebt haben. In einigen Jahrhunderten dagegen sind es immer noch ihre schriftlichen Botschaften, die Zeugnis davon ablegen, was sie persönlich an ihrer Zeit interessant finden und was sie sich für die Zukunft wünschen – auch wenn diese Zukunft bis dahin längst Vergangenheit sein wird. Je nachdem, wann die Dokumente wieder zum Vorschein kommen, könnten sie eine ähnlich altertümliche Wirkung haben, wie wenn heute vergleichbare Schreiben auftauchen würden, die Katechismusschüler zu Luthers Lebzeiten verfasst haben.

Was sich ebenfalls in der Zeitkapsel befindet, ist eine aktuelle Ausgabe des Teckboten vom 28. Februar sowie ein Foto mit Namen und Geburtsdatum von jedem der 21 Jugendlichen. Wer auch immer das Kästchen irgendwann ausgräbt, kann sich also ein genaues Bild machen von denjenigen, die da ihre Botschaften hinterlassen haben. Auch die Schlüssel zur verschlossenen Kapsel sollten die Ausgräber in der fernen Nachwelt nicht lange suchen müssen: Diakon Christian Stierle, der die Konfi-Gruppe gemeinsam mit Pfarrer Jochen Maier betreut, hat die beiden Schlüssel dazugelegt. Sollte das Kästchen also wieder freigelegt werden, bedarf es danach keinen größeren Aufwand mehr, um die Konfirmanden des Jahrgangs 2024 persönlich kennenzulernen.
 

Konfirmation im „Exil“

Dabei ist der Bezug, den die jungen Mitglieder der Martinskirchengemeinde zur Kirchheimer Hauptkirche haben, ein zwiespältiger: Ihre Konfirmation ist am Sonntag, 28. April, so viel steht fest. Was auch feststeht, ist die Tatsache, dass der feierliche Gottesdienst nicht in der Martinskirche stattfinden kann. Wenn alles nach Plan läuft, steht der Innenraum der Kirche frühestens Mitte oder Ende Juli wieder zur Verfügung. Wahrscheinlich werde die Konfirmation in die Thomaskirche verlegt, sagt Christian Stierle.

Trotzdem konnten die Jugendlichen „ihre“ Kirche – in der sie nicht konfirmiert werden und für die sie in unabsehbarer Zukunft trotzdem exemplarisch stehen werden – nun genauer kennenlernen als die meisten anderen Jahrgänge vor und nach ihnen: An das Niederlegen der Dokumentenbox schloss sich eine Kirchenführung der außergewöhnlichen Art an.

Derzeit erinnert das Gebäudeinnere, von der imposanten Höhe abgesehen, nicht so sehr an einen sakralen Raum. Der Besuch in der Kirche war denn auch eher eine Baustellenführung, die ihre Fortsetzung in den neuzeitlichen „Katakomben“ fand – mit einem Blick in die begehbaren Lüftungsschächte, die in der Zeit des Umbaus von vor 60 Jahren entstanden sind. So ließen sich also ganz unterschiedliche Dimensionen von Raum und Zeit erleben, in und unterhalb der Kirche.