Archiv: Für viele Zeitgenossen klingt das nach „ziemlich verstaubt“. Gegen dieses falsche Image kämpft Kirchheims Stadtarchivar Dr. Frank Bauer nun an. Er will Geschichte lebendig machen. Was ihn darin bestärkt, mit historischen Themen auf öffentliches Interesse stoßen zu können, gerade auch auf das Interesse junger Menschen, sind seine Erfahrungen mit dem „Pfad der Demokratie“ Ende 2018 / Anfang 2019.
Junge Leute hatten sich in das Thema „Demokratischer Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg“ einarbeiten lassen und dann Führungen angeboten: In Kirchheim ließ sich auf den Spuren historischer Ereignisse wandeln. Der Pfad der Demokratie zeigte, dass Geschichte spannend und kurzweilig ist und dass sie sich nicht nur in fernen Metropolen abspielt: Jedes geschichtliche Ereignis hat immer auch Auswirkungen auf die Menschen vor Ort.
Viele weitere Beispiel dafür bietet die Schriftenreihe des Kirchheimer Stadtarchivs, die Frank Bauer stärker in den Blickpunkt rücken möchte: „Da lassen sich viele tolle Studien finden.“ Weil es sich nicht immer um eine „leichte Lektüre“ handelt, will der Archivar auf einer „niederschwelligeren Ebene“ erklären, was sich aus der Schriftenreihe über Geschichte und Gegenwart Kirchheims lernen lässt.
Anhand von Band 1 führt Frank Bauer seine Ideen aus. Die damalige Stadtarchivarin Karin Peters hatte 1975 über „Herzogin Henriette von Württemberg und ihr soziales Wirken in Kirchheim unter Teck“ geschrieben. Der Titel klingt nach Pflichtlektüre für Heimatkunde, aber nicht nach spannender Unterhaltung.
Doch weit gefehlt: Frank Bauer landet sofort in der Gegenwart, wenn er über diesen Band spricht: Sein erstes Wort heißt „Naturkatastrophe“, und es verharmlost beinahe die große Klimakatastrophe vor etwas mehr als 200 Jahren: 1815 war im heutigen Indonesien der Vulkan Tambora ausgebrochen. Was dabei alles in die Luft geschleudert wurde, sorgte unter anderem in Europa dafür, dass es 1816 ein „Jahr ohne Sommer“ gab.
In Württemberg wurde deswegen die landwirtschaftliche Forschung intensiviert. Eine der Folgen: das Cannstatter Volksfest, das einst weniger dem Vergnügen diente. Es war als landwirtschaftliches Hauptfest eine wichtige Messe, um das Land besser gegen Hungersnöte zu wappnen.
Henriette als Helferin in der Not
In Kirchheim sorgte Herzogin Henriette dafür, dass sich Organisationen gründeten, die der Not entgegenwirken konnten - etwa die Paulinenpflege, die sich um arme Kinder kümmerte. Bis 1842 waren das nur Kinder aus dem Oberamt und auch nur evangelische Kinder. Einer der Grundgedanken der Paulinenpflege bestand darin, dass die Kinder durch Bildung der Armut entkommen sollten. Deshalb förderte Herzogin Henriette auch Industrieschulen in Kirchheim. Die Schüler produzierten Textilien oder Körbe, die verkauft wurden. Was heute nach Ausbeutung klingt, war damals eine Wohltat: Der Verkauf der Waren ermöglichte es, auf Schulgeld zu verzichten, das die Schüler sonst hätten zahlen müssen.
Zur Sozialgeschichte gehört auch das Wilhelmshospital, das Kirchheimer Krankenhaus: Henriette förderte dessen Bau und dessen Betrieb. Frank Bauer erinnert an Zeiten, in denen es zwar Operationen gab, aber noch keine Narkose. Grund für die Gründung des Krankenhauses war übrigens eine Cholera-Epidemie im Jahr 1832.
Ein Brand nach einem Blitzeinschlag führte 1848 zur Neuordnung des Löschwesens in Kirchheim, letztlich also zur Gründung der Freiwilligen Feuerwehr. Daran war Henriette ebenso beteiligt wie an der Gründung des Frauenstifts, das später Henriettenstift heißen sollte, oder an der Gründung einer privaten Töchterschule, also einer Schule für Mädchen.
Cholera und Blitzeinschlag bestätigen Frank Bauers Aussage, dass man Geschichte nicht immer nur von der eigenen Gegenwart aus beurteilen sollte: „Zunächst einmal ist Geschichte ergebnisoffen und von vielen Zufällen abhängig. Es hätte alles immer auch ganz anders kommen können.“ Andererseits zeigt das Beispiel der Herzogin für Frank Bauer auch, dass es sich lohnt, wichtige Aufgaben einfach anzugehen: „Oft war die Finanzierung für ihre Projekte nicht geklärt. Aber auf ihre Initiative hin haben die Kirchheimer trotzdem damit begonnen.“