Geschäftig geht es zu, an diesem heißen Sommerabend in der Konrad-Widerholt-Turnhalle in Kirchheim. Schon bis auf den Gang hinaus hört man eine sonore Männerstimme, die Anweisungen gibt. „Arme, Haltung, seitlich, vorwärts, drehen, sieben, acht“, und immer wieder die Aufforderung „Haltung, bitte“.
Zu der Musik von Sergei Prokofjews „Romeo und Julia“, nach dem gleichnamigen Drama von William Shakespeare, bewegen sich die Klassen 6 und 7 der Konrad-Widerholt-Förderschule, wie sie bis vor fünf Jahren noch hieß. Heute heißt die korrekte Bezeichnung der Schule kurz SBBZ, Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt Lernen.
Die 20 Jugendlichen üben hochkonzentriert unter der Anleitung der Tanzpädagogen Adrian Turner und Marieke Lieber vom Stuttgarter Ballett. Seit zehn Wochen, immer mittwochs, erarbeiten sie mit den Schülern eine Ballszene, eine Kampfszene und die Liebesszene aus dem Ballett „Romeo und Julia“.
Die Ballszene vermittelt einen Eindruck davon, wie der Adel früher getanzt hat, die Kampfszene hingegen beschreibt die Rivalität der beiden verfeindeten Familien und in der Liebesszene geht es um die scheue Annäherung von Romeo und Julia.
„Der andere ist da, man berührt sich, man dreht sich wieder auseinander.“ Adrian Turner moderiert durch das einstündige Programm und tanzt mit Marieke Lieber alles vor und gibt gleichzeitig den Schülern wichtige Ratschläge fürs Leben. „Mit der Liebe muss man sorgfältig umgehen, man muss darauf achten und sich wertschätzend seinem Gegenüber verhalten.“ Denn Liebe und Schönheit seien eine Stärke. Der Stoff des Stücks bleibe immer aktuell. Die Probleme seien die gleichen wie früher. Wie sieht Liebe aus? Was macht sie aus?
Über Bewegung Gefühl auszudrücken, das sei die Kunst. „Das hier ist nicht nur Sport, sondern Kunst!“ Für dieses Projekt dürfen sich Schulen mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung bewerben. Oper, Schauspiel, Ballett bieten solche Projekte an Schulen an. Nach bestimmten Auswahlkriterien wird dann eine ausgesucht. Die KW-Schule hat es dieses Jahr zum zweiten Mal geschafft. Die 7. Klasse ist das zweite Mal dabei, die 6. Klasse das erste Mal. „Und es ist kein Geheimnis“, verrät Schulleiterin Susanne Schöllkopf, dass man den Zuschlag auch ein drittes Mal bekommen habe. In zehn mehrstündigen Workshops erarbeiten die Schüler eine choreographische Annäherung an Inhalte von Balletten. Anschließend präsentieren sie ihr Können.
„Kunst ist das A und O in der Bildung“, betont Schulleiterin Susanne Schöllkopf, „Kunst schafft es, zu berühren, stellt Kontakte her, verfeinert die Wahrnehmung. Es ist das Schöne, Gute, Wahre.“ Diese Workshops seien ein Segen für die Schule. Anhand von authentischen Vorbildern, wie das Team Turner und Lieber, die in menschlicher, moralischer und tänzerischer Hinsicht Vorbilder seien, ermöglichten sie den Schülern kulturelle Teilhabe. „Sie machen hier Erfahrungen, die unheimlich wichtig sind“, sagt Klassenlehrer Gläß. „Soziale Kompetenzen werden gestärkt. Viele erhalten Einblicke in eine Welt, die den meisten unbekannt ist.“ In einem gruppendynamischen Prozess erleben die Schüler ein Zusammenwachsen. Dabei fallen immer wieder Schlüsselbegriffe wie Disziplin, Respekt, kollektives Arbeiten.
Trotz Frusterfahrungen und Rückschlägen gelingt es den Schülern, Großartiges auf die Beine zu stellen, worauf alle an diesem Abend sichtlich stolz sind. Manch einer unter ihnen entdeckt dabei Facetten an sich, die er bislang kaum kannte und das Durchhaltevermögen wird belohnt. Eine ganz wichtige Erfahrung ist die Gruppenleistung. Sie verlangt Disziplin von jedem Einzelnen und gegenseitigen Respekt, damit das große Ganze gelingt. Das alles gelingt den Schülern bei ihrem hervorragenden Auftritt an diesem Abend und wird mit viel Applaus des zahlreich erschienenen Publikums belohnt.
„Ich bin froh, dass wir diese Freiräume für solche Konzepte hier haben“, betont Schulleiterin Schöllkopf, „denn Inklusion muss hier ansetzen. Wir ringen um soziale Akzeptanz. Viele Eltern bekommen die Vollkrise, wenn ihr Kind keine höhere Schule besucht. Hier müssen wir ansetzen, es darf nicht bewertet werden.“