Medizin
Kinderärzte dringend gesucht

Kinderärzte sind in Kirchheim und Umgebung eine aussterbende Spezies. Wohin Eltern überhaupt noch gehen können und was sich dringend ändern müsste. 

Kinderarzt Stefan Gaißer untersucht eine kleine Patientin. Foto: Carsten Riedl

Bei den Kinderärzten im Alten Haus laufen die Telefone heiß. Die Telefonanlage registriert dort häufig 1600 Anrufversuche. Pro Stunde. Hinter dieser Zahl stecken Eltern, die teils verzweifelt versuchen, einen Termin für ihr Kind zu ergattern. Aber es sind einfach zu viele. „Wir können nicht mehr alle Patienten versorgen“, sagt Kinderarzt Ulrich Kuhn, der mit seinen Kollegen Stefan Gaißer und Dr. Wolf Rödiger die größte Kinderarztpraxis in Kirchheim betreibt.

Das ist besorgniserregend, weil die Kinder- und Jugendarztpraxis im Alten Haus eigentlich lange als Fels in der Brandung galt. Drum herum bröckelt es schon seit vielen Jahren. In der Kinder- und Jugendarztpraxis im MVZ in Kirchheim gab es in den letzten Jahren immer wieder offene Stellen und Wechsel beim ärztlichen Personal. Unterbesetzung ist dort zum Dauerzustand geworden. Regine Geiß-Holtorff, die seit vielen Jahren eine Kinderarztpraxis in Weilheim betreibt, möchte bekanntlich schon lange in Ruhestand gehen. Der Mangel an Kinderärzten macht sich unter anderem in der kinderärztlichen Notfallpraxis bemerkbar, die im Klinikum Esslingen untergebracht ist. „Notfälle sehen wir dort so gut wie keine“, sagt Ulrich Kuhn. Das heißt: Viele Eltern nutzen diese Abkürzung, weil sie genau wissen, dass sie sonst am Montag wieder stundenlang in der Warteschleife hängen.

 

Die Bedarfsplanung hat ihren Namen noch nie verdient.

Ulrich Kuhn, Kinder- und Jugendarzt

 

Dass der Raum Kirchheim unterversorgt ist, liegt unter anderem daran, dass bei der Bedarfsplanung der gesamte Landkreis Esslingen betrachtet wird. Der ist laut Kassenärztlicher Vereinigung Baden-Württemberg (KV) für neue Sitze gesperrt, weil ausreichend Ärzte vorhanden seien. Ulrich Kuhn hat dafür nur Spott übrig. „Die Bedarfsplanung hat ihren Namen noch nie verdient“, sagt er. Im Landkreis Esslingen sitze sicher die Hälfte der Kinder- und Jugendärzte in der Stadt Esslingen. Für die Fläche bleibt dann natürlich nicht mehr viel übrig. Warum die Verteilung nicht besser gesteuert werden kann, bleibt ein ewiges Rätsel. Stefan Gaißer gibt zu bedenken, dass in den vergangenen Jahren in Kirchheim viele größere Neubauprojekte entstanden sind, die neue junge Familien in die Stadt gezogen haben. „Solche Dinge wie Neubaugebiete sind aber noch nie in die Bedarfsplanung eingeflossen“, sagt Ulrich Kuhn.

Dass die Kinder- und Jugend­ärzte so viele Patienten zu versorgen haben, liegt auch an der Überlas­tung der Hausärzte. „Viele Allgemeinärzte nehmen gar niemanden mehr unter 18“, sagt Stefan Gaißer. Deshalb bleiben die Jugendlichen – anders als früher – häufig bis zur Volljährigkeit in der Praxis im Alten Haus. Fachlich fühlen sich die Kinderärzte dafür durchaus gewappnet, aber es sorgt natürlich auch nicht dafür, dass die Zahl der Patienten sinkt. Auch die zunehmende Ängstlichkeit von Eltern gibt Kuhn und Gaißer zu denken. „Alles, was bei den Kindern nicht so ist wie immer, alle Auffälligkeiten oder scheinbaren Auffälligkeiten müssen abgeklärt werden“, sagt Ulrich Kuhn.

„In zehn Jahren sind wir hier alle weg“

Ausblick Den Kinder- und Jugendärzten macht nicht nur der aktuelle Zustand Sorgen, sondern besonders auch der Blick in die Zukunft. Beide sind in einem Alter, in dem sie allmählich an die Nachfolge denken müssen. Allerdings sind keine jungen Ärzte in Sicht. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist die Zahl der Ärzte, die sich für die Ausbildung zum Kinder- und Jugendarzt entscheiden, ohnehin überschaubar. „Das ist so schade, weil die Arbeit eigentlich viel Freude macht“, sagt Stefan Gaißer. „Ich wollte nie etwas anderes machen.“

Nachwuchs Ein weiteres Problem ist, dass die Zahl der geförderten Stellen für Weiterbildungsassistenten in Kinder- und Jugendarztpraxen begrenzt ist. Weiterbildungsassistenten sind Medizinerinnen und Mediziner, die im Rahmen ihrer Facharztausbildung einige Zeit in einer Praxis mitarbeiten. Dass die Zahl der geförderten Stellen begrenzt ist, ist in den Augen von Kuhn und Gaißer ein Missstand. Sorge die aktuelle Regelung doch dafür, dass in den Fachpraxen zu wenig Nachwuchs ausgebildet wird, weil die Inhaber der Praxen die Gehälter der Weiterbildungsassistenten ohne Förderung aus eigener Tasche bezahlen müssten. Das könnten sie sich jedoch nicht leisten. „Lauterbach hatte zugesagt, dass wir behandelt werden sollen wie die Allgemeinärzte“, sagt Ulrich Kuhn. Bei denen ist die Zahl der geförderten Stellen nicht gedeckelt. Die Gesundheitsministerkonferenz hat sich bereits im vergangenen September für diesen Schritt ausgesprochen. Aus dem Bundesministerium heißt es auf Anfrage, dass die bestehenden Versorgungsprobleme in der Allgemeinmedizin, die ja maßgeblicher Grund für die Weiterbildungsförderung seien, nicht gleichermaßen in der Kinder- und Jugendmedizin gelten würden. Auch vor diesem Hintergrund seien aktuell keine gesetzlichen Änderungen vorgesehen.