Frau Holle rief – und alle kamen. Vor dem Kirchheimer Rathaus war am 1. Dezember um 17 Uhr eine große Schar von Kindern versammelt, um zu sehen und zu hören, was sich hinter dem ersten „Türchen“ des Adventskalenders verbarg. Das Bild als solches verriet erst auf den zweiten Blick, welches Märchen zum Auftakt an der Reihe war: Der Kirchheimer Rathausturm ist zwar älter als die Brüder Grimm, aber er kommt trotzdem in keinem der Märchen vor, das die beiden gesammelt haben. Der entscheidende Hinweis war der Schnee, der auf dem Bild zu sehen war. „Mein Märchen“ konnte Frau Holle demnach erzählen, denn in „ihrem Märchen“ wird auf wundersame Weise erklärt, was es mit dem Schnee in der Welt auf sich hat.
Wäre heute eine verschneite Winterwunderwelt die Belohnung für Kinder, die artig auf den ersten Schnee warten, um dann ihre Schlitten aus dem Keller zu holen, um Kugeln für Schneemänner zu rugeln oder um Iglus zu bauen, so ist der Schnee im Märchen von Frau Holle das Ergebnis harter Arbeit: Bekanntlich schneit es auf der Welt, wenn sie ihr Federbett ausschüttelt – oder ausschütteln lässt. Auch in der märchenhaften Zauberwelt Frau Holles muss also gearbeitet werden – weil es sich eben nicht um das Schlaraffenland handelt, in dem die Tauben schon gebraten sind, wenn sie noch fliegen.
Die Moral ist eindeutig: Wer fleißig ist, wird mit Gold belohnt. Wer faul ist, hat am Ende „Pech gehabt“. Ob sich das im Leben der Kinder, die vor dem Kirchheimer Rathaus artig zuhörten, so bestätigen wird, ist fraglich. Gestern aber zumindest hat das mit der Belohnung besser funktioniert als die Sache mit dem Schnee. Die Bettfedern, die „Frau Holle“ mitgebracht hatte, um sie aus dem Rathausfenster „schneien“ zu lassen, wollten nicht wirklich in die Kälte hinaus: Der Wind trieb sie ins Rathaus zurück. Aber dafür erhielten die Kinder nach der „Lernkontrolle“ einen vergoldeten Schokoladentaler – als verdiente Belohnung fürs aufmerksame Zuhören.
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