Bei jedem Deutschen Evangelischen Kirchentag war er bisher ein Objekt der Vorfreude – der dicke gedruckte Programmkatalog. Welche der vielen Veranstaltungen in den fünf Tagen – in Nürnberg im Juni werden es rund 2000 sein – passen in die persönliche Planung? Zum ersten Mal wird es den Katalog nun nicht geben. Dafür aber eine App, die unter anderem anzeigt, welche Angebote es im ausgewählten Umkreis um den aktuellen Standort in Kürze geben wird. Die App wurde bereits auf dem Katholikentag in Stuttgart erprobt und Kinderkrankheiten wurden seither beseitigt. Ganz verschwinden wird der Katalog aber nicht: Es gibt ihn auf Bestellung weiterhin, allerdings in abgespeckter Form.
Der Kirchentag werde in Nürnberg sehr präsent sein, versprach Manuel Schittenhelm, Geschäftsführer des Landesausschusses Württemberg des Deutschen Evangelischen Kirchentags, und versprach den rund 50 Zuhörern einen „Kirchentag der kurzen Wege“. Die sehr aufwändige private Zimmervermittlung sei nicht mehr zu leisten, sie wurde durch eine Internetplattform ersetzt. In den Schulen werde nur in Klassenzimmern übernachtet. Die Turnhallenübernachtungen aus der „Kirchentagsjugend“ von Diakon Christian Tsalos, von denen dieser zu Beginn erzählte, gibt es nicht mehr. Neu ist dafür ein Campingangebot mit 2500 Plätzen – für Zelte genauso wie für Wohnmobile. Insgesamt werden rund 100 000 Teilnehmer erwartet. Es sind mehr als 20 000 Ehrenamtliche im Einsatz, und es werden mindestens 5000 Helfer jeden Alters gesucht. Sie übernehmen den Ordnungsdienst, erteilen Auskünfte, stellen den Fahrdienst und vieles mehr.
Manuel Schittenhelm war mit seiner Präsentation spontan eingesprungen, weil Generalsekretärin Kristin Jahn unter den üblichen Bahnverspätungen litt. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin und Theologin war unter anderem Pfarrerin in Meiningen und Wittenberg. Von 2017 bis 2021 war sei Superintendentin – in Württemberg hieße das Dekanin – im Kirchenkreis Altenburger Land im Osten von Thüringen.
Kristin Jahn beschrieb sich als „typisches Kind der Volkskirche“ – auch wenn diese in der DDR eher Minderheit, Nische und Opposition war. Auch im Westen breche die Tradition, die Kirchenbänke fülle, ab, Menschen gehörten nicht mehr einfach dazu. Sie entschieden sich bewusst dafür, in der Kirche drin zu sein und auch drin zu bleiben – oder sie zu verlassen. „Das tut weh, das schmerzt.“ Im Osten Deutschlands sei der eigene Anspruch, flächendeckend da zu sein, längst nicht mehr zu erfüllen. Im Extremfall komme auf 24 Dörfer und 17 Kirchtürme ein einziger Pfarrer.
Gott fordere ein Piratenherz
Als Superintendentin hat Kristin Jahn deshalb stark auf eine Ehrenamtskirche gesetzt. Ehrenamtliche bekamen in ihrem Kirchenkreis eine formelle Beauftragung, sie bekamen Weiterbildungen und ihnen wurden Fahrtkosten erstattet. Dieser Weg war nicht immer einfach: Manchem Pfarrer ist es schwergefallen loszulassen, und das, was er selbst nicht mehr leisten kann, an Ehrenamtliche zu übergeben.
Die Zukunft der Kirche, betonte Kristin Jahn, liege nicht Strukturentscheidungen, wie sie derzeit an vielen Orten fallen. Sie liege in Gott. „Denn er hat Lust auf uns, auch auf unsere kleinmütigen Herzen und begrenzten Möglichkeiten.“ Die Superintendentin ist überzeugt: „Gott fordert von mir ein Piratenherz. Er fordert von mir den Mut, ins Offene loszugehen, ohne alle festen Bilder und Erwartungshorizonte.“
Viele Kirchengemeinden würden um den Erhalt ihrer Gebäude kämpfen. Vor einer Sanierung stehe aber die Frage: „Warum wollen wir diesen Ort erhalten?“ Kristin Jahn lieferte dem interessierten Publikum ihre persönliche Antwort mit: „Damit der Mensch eine Herberge hat. Kirchengebäude sind die letzten Herbergen der Menschheit, der letzte Ort für Asyl, für Zuflucht und Schutz, ohne Ansehen der Person und Tat. Für diesen Schutz des Lebens, das heilig ist, braucht es den heiligen Ort, auch für jene, die nicht Kirchenmitglied sind.“