Hiobsbotschaft
Kirchheimer Autositzhersteller Recaro meldet Insolvenz an

Die IG Metall Esslingen entdeckte dank routinemäßiger Recherche im Internet, dass das Kirchheimer Unternehmen in finanzieller Schieflage ist. Die Firmenspitze informierte Beschäftigte nicht.

Die Beschäftigen der Firma Recaro erfuhren von der IG Metall Esslingen, dass der Autositzhersteller Insolvenz angemeldet hat. Foto: Jean-Luc Jacques

Die schlimmsten Befürchtungen des Betriebsrats und der IG Metall bewahrheiten sich: Das Traditionsunternehmen Recaro meldet Insolvenz an“, mit diesem Paukenschlag verkündet Alessandro Lieb, Erster Bevollmächtigter IG Metall Esslingen, das Aus des international bekannten Herstellers von hochwertigen Autositzen. Der Schriftzug Recaro dürfte nicht nur Liebhabern edler Automodelle, sondern auch jedem Fußballfan bekannt sein: Die Trainer- und Betreuerriegen der Bundesligaclubs lassen sich gerne am Spielfeldrand auf den Sitzmöbeln made in Kirchheim nieder.

„Vor allem für die langjährigen Beschäftigten ist das Vorgehen der Firma völlig inakzeptabel“, prangert Alessandro Lieb das Schweigen der Recaro-Führung an. Regelmäßig sichtet die IG-Metall die Homepage Insolvenzbekanntmachungen. Die ist nach Alphabet sortiert – und beim Buchstaben R tauchte dann Recaro auf.

Laut Bekanntmachung wurde durch das Gericht vorläufig die Eigenverwaltung angeordnet. „Was das nun für die 215 Beschäftigten der Recaro Automotive GmbH in Kirchheim bedeutet, ist unklar. Die Beschäftigten haben die Information nicht vom Management selbst erhalten“, verdeutlicht Alessandro Lieb. Über mehrere Jahre hinweg hätten die Beschäftigten in Form von Verzicht und Verschiebung von Entgelten dazu beigetragen, das Unternehmen wirtschaftlich stabil zu halten und den finanziellen Raum für Investitionen und Innovationen zu ermöglichen. Nun scheine dies alles vergebens.

Frank Bokowits, Betriebsratsvorsitzender von Recaro in Kirchheim, wird deutlich: „Das ist Missmanagement. Die Firma wurde in den vergangenen Jahren an die Wand gefahren.“ Die Abwärtsspirale sei für die Belegschaft seit drei Jahren erkennbar. „Seit zwei, drei Wochen haben wir kein Material mehr bekommen, weil keine Rechnungen gezahlt wurden“, sagt er. Lohnabrechnungen sind bis Montag keine eingegangen, am Mittwoch müsste der Gehalt auf den Konten der Kollegen eingehen. „Viele Beschäftigte erreicht die Hiobsbotschaft im Urlaub. Man kann sich vorstellen, wie sich jetzt fühlen“, sagt Alessandro Lieb.

Der Landtagsabgeordnete und Fraktionsvorsitzende der Grünen, Andreas Schwarz (rechts), informierte sich vor rund zwei Jahren über die Sitzherstellung bei Recaro in Kirchheim. Foto: Carsten Riedl

„Wir als Betriebsrat haben angeboten zweieinhalb Stunden pro Woche umsonst zu arbeiten. Das wurde abgelehnt. Wir waren auch zu weiteren Kompromissen bereit, um den Standort zu retten. Jegliche Vorschläge, kostenschonender zu arbeiten, wurden missachtet“, sagt er weiter. Nur noch einen Hauptkunden habe die Firma gehabt – und der verkaufe gerade kaum Autos. „In der Autobranche bahnt sich eine ganz große Krise an“, befürchtet er. Der Vorschlag, das zweite Standbein zu stärken, sei von der Geschäftsführung nicht umgesetzt worden. Dabei handelt es sich um Privatkunden, die einen Sportsitz oder einen rückenschonenden Sitz in ihr Fahrzeug montieren lassen wollen. „Dazu hätten entsprechende Unterbauten entwickelt werden müssen, was nicht geschehen ist“, so Frank Bokowits.

Zuletzt hatte sich der Betriebsrat erst in diesem Monat über die wirtschaftliche Lage des Betriebs informiert und nichts von der desolaten Situation erfahren. „Wir sind enttäuscht und fühlen uns vom Management im Stich gelassen“, erklärt Frank Bokowits. „Unsere Kolleginnen und Kollegen haben große Opfer gebracht, um das Unternehmen zu unterstützen und wurden nun auf diese Weise über die Insolvenz informiert.“

„Wir wollen nun Klarheit in die Sache reinbringen und die Umstände klären“, verspricht Alessandro Lieb. Die IG Metall fordert einen transparenten Dialog mit der Geschäftsführung und dem Sachwalter. „Wir erwarten, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um Arbeitsplätze zu sichern und eine nachhaltige Lösung zu finden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdienen Klarheit und eine faire Behandlung in dieser schwierigen Zeit“, verspricht Alessandro Lieb die Unterstützung der IG Metall. Betriebsrat und IG Metall würden nun alle rechtlichen Mittel prüfen, um die Interessen der Beschäftigten zu wahren. „Wir werden uns nicht kampflos geschlagen geben und für die Rechte und Zukunft der Belegschaft kämpfen“, so der Betriebsratsvorsitzende.

Weitere Informationen und ein Treffen mit den Belegschaftsvertretern sind in den kommenden Tagen geplant, um das weitere Vorgehen zu besprechen und die nächsten Schritte zu koordinieren. „Die IG Metall steht den Beschäftigten in dieser schweren Zeit zur Seite und wird alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihre Interessen zu schützen“, verspricht Alessandro Lieb.

Als Insolvenzverwalter ist Holger Blümle von Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung eingesetzt. Er hat erst am Montag von seiner neuen Aufgabe erfahren und muss sich erst einen Überblick über die Lage verschaffen. Erste Gespräche fanden bereits statt. Von Seiten der Geschäftsführung lag zum Redaktionsschluss kein Statement vor.