Kirchheim/Stuttgart. Die 9. Große Strafkammer am Stuttgarter Landgericht sorgte im Fall der Kirchheimer Brandstifterin für eine Überraschung: Die 66-jährige Frau wurde in zweiter Instanz vom Vorwurf der Brandstiftung, Beleidigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie tätlicher Beleidigung freigesprochen. Auch die Einweisung in eine psychiatrische Klinik hoben die Richter auf, sodass die 66-Jährige nunmehr den Gerichtssaal frei verlassen durfte.
Sehr zum Missfallen des Staatsanwalts hatten die Richter gestern diese endgültige Entscheidung getroffen. Der Ankläger vertrat noch in seinem Plädoyer die Auffassung, dass die Angeklagte an einer schweren paranoiden Psychose leidet und in diesem Zustand am 12. Februar letzten Jahres das Badezimmer ihrer Kirchheimer Wohnung in Brand setzte, Rathausbedienstete beleidigte, Nachbarn tätlich anging, sie sogar mit Steinen bewarf. Dafür – so sein Antrag – sollte sie zwar wegen Schuldunfähigkeit von den Vorwürfen freigesprochen werden, doch zur Sicherung der Allgemeinheit sich zumindest einer ambulanten Zwangsbehandlung unterwerfen.
Auch diesen Antrag lehnten die Richter jetzt ab. Sie stuften die 66-Jährige zwar in den Bereich einer psychischen Krankheit ein, verwarfen allerdings die These, wonach die Frau in ihrem krankhaften Zustand eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Nur wenn dies juristisch zu bejahen wäre, sei eine Einweisung in eine Psychiatrie oder ambulante Zwangsbehandlung möglich. Diese Gefahr bestehe bei der Frau jedoch nicht. Krank ja, gefährlich nein, und wegen der Psychose auch nicht schuldfähig.
Für den Laien ist die jetzige Entscheidung schwer verständlich. Schließlich hatte die Frau faktisch eine Brandstiftung begangen, Menschen bedroht und auch versucht, sie zu verletzen. Im ersten Prozess wurde sie von einer anderen Strafkammer als gefährlich eingestuft und in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Vor allem auch, weil die Frau in ihrer Psychose den Brand zur Abwehr gegen angebliche Giftattacken legte und weil sie behauptete, sie stamme von einem König namens David ab. Dieses Urteil hatte der Bundesgerichtshof wegen Verfahrensmängel aufgehoben.
Die 9. Große Strafkammer benötigte nur zwei Tage für diese neue Entscheidung: Freispruch wegen Schuldunfähigkeit. Für die fast ein Jahr andauernde Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus in Weissenau, was einem Freiheitsentzug gleichkommt, wird ihr laut dem Urteil eine Entschädigung gezahlt. Und die Gerichtskosten, einschließlich Anwalts- und Nebenkosten, gehen auf Staatskosten. Bernd Winckler