Es ist ziemlich dunkel, das Auge muss sich erst mal an das Licht gewöhnen. Ist das passiert, prasseln die ersten Eindrücke dann umso schneller auf den Besucher ein. Musik ist zu hören, ebenso Stimmen, und der Blick wird unweigerlich von den großen, auf die Wände projizierten Bilder und Filme auf ein knallrotes Minikleid gelenkt, das dank des Spotlight perfekt in Szene gesetzt ist. Es ist ein gestricktes Minikleid aus dem Jahr 1972. Frida Rothe hat es für die Abi-Feier im Gymnasium in Calw gekauft. Frida Rothe war Pfarrerin in Schopfloch und Gutenberg. Aufgewachsen ist sie in dem kleinen Dorf Oberkollwangen bei Bad Teinach. „Für sie hatte das Kleid Signalwirkung. Es dokumentierte ihren Mut, ein neues Leben zu beginnen und das ländliche Umfeld für ein Universitätsstudium zu verlassen“, ist dazu im Begleitkatalog zur Ausstellung nachzulesen.
Darin ist auch die ganze Pracht des Otto Muehl zu sehen. Der hatte seinen skandalösen Auftritt im Kirchheimer Club-Keller im Entstehungsjahr 1968: Er stand pudelnackt auf der Bühne. Ein Unding für das konservative Publikum, weshalb sich prompt der Kirchheimer Stadtrat gleich in mehreren Sitzungen damit befasste und den Mietvertrag schließlich kündigte. Die Bastions-Mitglieder haben jedoch Rechtsmittel eingelegt und in zweiter Instanz nach zwei Jahren beim Landgericht Recht bekommen.
Diesem Umstand der bewussten Provokation der Gründungsmitglieder hat es der Kirchheimer Club Bastion zu verdanken, dass er zu den ausgewählten Clubs in der Ausstellung zählt - und der nicht unerheblichen Tatsache, dass er seit 50 Jahren an Ort und Stelle besteht und dazu weiterhin erfolgreich ist. „Der Club Bastion hat eine tolle Aura“, sagt Dr. Sebastian Dörfler, der als Wissenschaftlicher Volontär die Ausstellung maßgeblich gestaltet hat.
Holzköpfe als Wahrzeichen
Gleich mehrere Fotos von Otto Muehl im Adamskostüm in der Bastion sind in der Stuttgarter Ausstellung zu bewundern. Den Kirchheimer Besuchern werden dort als erster Blickfang die zwei Holzköpfe ins Auge fallen, die sonst zusammen mit dem Totenkopf die Mauernische hinter der Bühne schmücken. Sie stammen von einem Altkommunisten aus Nürtingen, der in der nationalsozialistischen Diktatur verfolgt worden war. Er schenkte dem Club aus Begeisterung für ihr Angebot die maskenähnlichen Plastiken.
Mit Mythen aufräumen
„Wir haben die Zeit der gesellschaftlichen Wende mit ausgewählten Aspekten dargestellt“, erklärt Sebastian Dörfler. Unter anderem hat er mit dem einen oder andern Mythos aufgeräumt. „Wir stellen stark infrage, dass die 68er sich für die Emanzipation der Frau stark gemacht haben, denn die Männer waren weiterhin patriarchalisch aufgestellt. Die Männer machten die Musik, die Frauen bejubelten sie“, stellt er fest. Gefragt waren die Frauen als Groupies - und damit ist die Ausstellung auch bei der Enttabuisierung des außerehelichen Sex‘ angelangt. Eine Packung Anovlar 21, die Antibabypille von Anfang der 60er-Jahre, ist zu sehen. Bekommen haben sie damals allerdings nur verheiratete Frauen mit mindestens zwei Kindern.
„Linke Gruppen hatten auch kein Verständnis für Homosexuelle. Das zeigt: Die Weltverbesserer hatten einige blinde Flecken“, sagt Sebastian Dörfler.