Kirchheim
Kirchheimer Eltern: Später zur Schule ja, Gleitzeit nein

Bildung Das Gleitzeit-Experiment am Plochinger Gymnasium verfolgen Kirchheimer Elternvertreter mit Interesse, sind von der Flexibilität aber nicht überzeugt. Für Lehrende kommt es darauf an, wer es macht. Von Thomas Zapp

Gleitzeit wie in Plochingen wüschen sich Schüler und Eltern eher nicht - dafür aber einen späteren Schulbeginn. Foto: Carsten Riedl

Bislang ist es nur ein Experiment, das aus einer Projektwoche entstand. Aber anscheinend haben die Schülerinnen und Schüler der 7a des Gymnasiums Plochingen mit ihrem „Gleitzeitmodell“ einen Nerv getroffen, nimmt man das bundesweite Medieninteresse zum Maßstab. Die Idee, individuell später mit dem Unterricht beginnen zu können, klingt erstmal reizvoll, ist aber vielschichtiger, als es sich auf Anhieb liest. Eltern in Kirchheim heben vor allem einen Aspekt des Plochinger Projekts hervor. „Im Elternbeirat haben wir bisher speziell das Gleitzeitmodell in Plochingen noch nicht diskutiert. Aber grundsätzlich ist der Beweggrund für den Testlauf mit dem Gleitzeitmodell, nämlich ein späterer
 

„Sie sehen im Gleiten keinen großen Vorteil.
Stefanie Rau, Elternbeiratsvorsitzende am LUG, über die Reaktion ihrer Töchter
 

Schulbeginn, absolut verständlich und nur zu unterstützen“, meint Stefanie Rau, Elternbeiratsvorsitzende am Kirchheimer Ludwig-Uhland-Gymnasium. Ihre beiden Töchter würden sich einen späteren Schulbeginn wünschen. „Wir denken, dass generell der Schulbeginn schon um 7.30 Uhr an den Gymnasien hier in Kirchheim ab Klasse 8 oder 9 zu früh ist. Inzwischen ist bekannt aus Studien, dass Teenager, bedingt durch den sich verändernden Biorhythmus in der Pubertät, abends länger wach bleiben und sich dementsprechend morgens um 7.30 Uhr bei Schulbeginn physiologisch noch in der Tiefschlafphase befinden und zu Schulzeiten aufgrund zu kurzer Schlafzeiten deswegen teils unter chronischem Schlafmangel leiden“, sagt sie. Dies wiederum könne zu Konzentrations- und Lernschwierigkeiten oder sogar psychischen Problemen führen. „Ein späterer Schulstart für Teenager würde die schulischen Leistungen, die Schlafqualität und ihre Lebensqualität im Allgemeinen verbessern“, ist Stefanie Rau überzeugt. 

Die Kirchheimer Eltern hätten einen konkreten Vorschlag. „Wir würden uns in den höheren Klassen einen späteren Schulbeginn wünschen, zum Beispiel um 8.30 Uhr“, sagt Stefanie Rau. Ab Klasse acht seien Kinder wahrscheinlich auch schon alt genug, um sich morgens allein fertig zu machen und in die Schule zu gehen, falls die Eltern früher arbeiten müssen. „Dass dies natürlich zu Umstellungen bei der Schüler- und Schülerinnenbeförderung und den Arbeitszeiten der Lehrkräfte führen würde, ist uns bewusst. Aber das gesundheitliche Wohl unserer Teenager sollte uns das wert sein“, meint sie.

Doch abgesehen vom Zeitfaktor können sie und und die meisten anderen Elternvertreter dem Gleitzeit-Modell nicht viel abgewinnen. „Der am Morgen verpasste Schulstoff muss in Eigenregie am Nachmittag nachgeholt werden. Auch könnte es für Schülerinnen und Schüler Stress bedeuten, sich entscheiden zu müssen, auszuschlafen und nachmittags mehr Arbeit zu haben oder lieber früh aufzustehen, um nachmittags weniger machen zu müssen.“ Auch ihrer Kinder, die auf dem LUG in die 7. und 9. Klasse gehen, sind keine Fans des flexiblen Schulbeginns. „Sie sehen im Gleiten keinen großen Vorteil, da Sie dafür nachmittags die zwei Stunden nachholen müssten und dabei nicht mal die Lehrkraft bei Unklarheiten fragen könnten.“

„Das war ihre eigene Idee“, sagt Till Richter, Deutschlehrer der Klasse 7a am Plochinger Gymnasium. In der Projektwoche „Informieren und Argumentieren“ seien Schulzeiten ein Thema gewesen, daraus ist das Gleitzeitmodell geworden. So funktioniert es in seinem Fach Deutsch, das neben Englisch in das Experiment eingebunden ist: Mittwoch sind alle anwesend, dann bekommen sie die Aufgaben. Diese können sie selbstständig zu Hause erledigen oder in der neu eingeführten „Lernzeit“ im Klassenverbund und mit Lehrer am Dienstag in der 1. und 2. Stunde. Da es in Englisch auch so gehandhabt wird, haben die Siebtklässler zwei Mal die Woche die Möglichkeit, um 7.50 Uhr oder erst um 9.40 Uhr in die Schule zu kommen.

 

Lernformen ausprobieren

Aus fachlicher Sicht sieht Thorsten Bröckel, Kirchheims geschäftsführender Schulleiter und Rektor der Alleenschule, das Konzept weniger unter dem Aspekt Zeit als viel mehr unter dem Aspekt Lernen. „Natürlich gibt es in der Arbeitswelt Konzepte wie Homeoffice oder Agiles Arbeiten“, sagt  Bröckel. Agiles Arbeiten bedeutet etwa, sich schnell an ändernde Umstände anpassen zu können. „Ob die Schule darauf vorbereiten muss, sehe ich aktuell aber nicht.“ Unterschiedliche Modelle könne man sich aber  durchaus vorstellen, allerdings hänge das auch von der jeweiligen Schulform ab. Beispiel „ausgelagertes Lernen“ oder „Flipped Classrooms“. „Es gibt Leute die das ausprobieren, aber als Schulkonzept noch nicht.“ Das sei auch eine Frage der Zielgruppe. „Welche Schüler können das leisten?“

Bei ihm an der Werkrealschule hätten Schüler die Möglichkeit, außerhalb der Klasse in speziellen Lernecken auf dem Gang zu lernen. „Damit schaffen wir Freiräume“, sagt Bröckel. Ein Vorteil der Methode: Man kann sich innerhalb der Klasse auf Schülerinnen und Schüler mit mehr Lernbedarf konzentrieren. Bei aller Flexibilität kann Thomas Bröckel einem für alle verbindlichen Schulanfang aber durchaus etwas abgewinnen: „Dabei geht es um Sekundärtugenden wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit.“

So funktioniert das Modell

„Das war ihre eigene Idee“, sagt Till Richter, Deutschlehrer der Klasse 7a am Plochinger Gymnasium. In der Projektwoche „Informieren und Argumentieren“ seien Schulzeiten ein Thema gewesen, daraus ist das Gleitzeitmodell geworden. So funktioniert es in seinem Fach Deutsch, das neben Englisch in das Experiment eingebunden ist: Mittwoch sind alle anwesend, dann bekommen sie die Aufgaben. Diese können sie selbstständig zu Hause erledigen oder in der neu eingeführten „Lernzeit“ im Klassenverbund und mit Lehrer am Dienstag in der 1. und 2. Stunde. Da es in Englisch auch so gehandhabt wird, haben die Siebtklässler zwei Mal die Woche die Möglichkeit, um 7.50 Uhr oder erst um 9.40 Uhr in die Schule zu kommen.

„Stärkere bleiben eher zu Hause“, sagt er. Da ginge es auch um Bildungsgerechtigkeit: Wer wenig Unterstützung zu Hause bekommt, kann das Lernangebot in der Schule nutzen. Bis zu den Pfingstferien ist das Programm gelaufen, danach wird ausgewertet. Für Lehrer Till Richter gibt es einen großen Vorteil: Dass er mehr Zeit hat, Schwächeren zu halfen. Es bringt aber auch mehr Arbeit: Man müsse „als Lehrer genauer hinschauen“ – damit keiner die Zeiten „nutzt“, um lediglich der Schule fernzubleiben. Grundsätzlich prüfen sich die meisten Jugendlichen aber aus Eigeninteresse selbst: „Komme ich zurecht oder hilft mir besser der Lehrer?“ zap