Kirchheim. „Das ist ja eine kleine Galerie!“ – schon vor 20 Jahren, als der „Runde Tisch Kunst“ zu einer ersten Bestandsaufnahme für den Kirchheimer Kunstweg zusammenkam, sorgte die Stadthalle für eine Überraschung. Die Begeisterung galt den Wandgemälden von Adam Lude Döring.
Darin schlägt der 1925 geborene Maler und Grafiker eine Brücke in die Vergangenheit. Seine in den Jahren 1978 und 1979 entstandenen Werke sind Hommagen an die epochemachende Technologie der Eisenbahn. Die Wahl des Sujets ist der Historie des Standorts geschuldet. Teckcenter samt Stadthalle stehen auf dem Areal des alten Kirchheimer Bahnhofs. Von 1864 an diente der historische Bahnhof über einhundert Jahre als Dreh- und Angelpunkt des regionalen Schienennetzes, bevor 1975 sein moderner Nachfolger den Betrieb am südlichen Stadtrand aufnahm.
Geschichtlicher Bogen
Ein langer geschichtlicher Bogen, der auch in Lude Dörings Bildern Ausdruck findet. Über sieben Meter breit und fast drei Meter hoch ist sein Wandbild am Eingang zum Foyer der Stadthalle. Das belebte Szenario einer mondänen Bahnhofshalle entrollt sich vor den Augen der Betrachter. Und so wie der Blick über die zahlreichen Details wandert, so gleiten auch die Zeiten ineinander. Ein Pianist weckt Erinnerung an die Salonkultur um 1900, funktionale Rolltreppen verweisen auf die Nachkriegszeit.
Studieren lässt sich hier die Vorgehensweise Lude Dörings. Seinen Bildern legt er ein mehr oder weniger sichtbares Gitter aus einhundert Quadraten zugrunde. Die Hundertfelder, wie Döring sie nannte, erhöhen die Plastizität der Figuren und verleihen dem grafischen Raster malerischen Impetus.
Nicht nur in Kirchheim ist Lude Döring im öffentlichen Raum präsent. Er gestaltete den Innenraum der Mauritiuskirche in Güglingen und schuf Wandmalereien für die Verwaltungsgebäude der Stuttgarter Allianz und des Lidl-Konzerns ins Neckarsulm. 1989 ernannte der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth den international renommierten Künstler zum Professor. Kurz nach seinem 93. Geburtstag ist Adam Lude Döring 2018 in Sachsenheim verstorben. Als „Regisseur simultaner Szenarien“ hatte ihn der Kunsthistoriker Wilhelm Gall gewürdigt. So können ihn Kunstfreunde auch im Erdgeschoss der Stadthalle erleben.
Wie im Guckkasten einer Schaubühne setzt er dort Reisende eines Eisenbahnabteils in Szene, deren Kleidung und Accessoires auf die 1920er-Jahre weisen. Moderne Signaltechnik flankiert die nostalgische Momentaufnahme. Mit dem Nebeneinander figurativer Elemente und technischer Motive spielt auch das formal strenger gehaltene Wandbild, das an der Außenseite des Teckcenters in der Osianderstrasse zu sehen ist. Darin ist ein menschliches Profil zu erkennen. „Ich möchte“, schrieb Lude Döring einmal über seine Kunst, „etwas Einfaches machen, einen Menschen, der einfach dasteht, und mache doch dauernd Profile. Meine Augen sehen immerzu und sind verzaubert. Von diesem besonderen Sein der Dinge soll etwas in meinen Bildern sein.“ Dem nüchternen Beton des Teckcenters einen Hauch dieser Verzauberung abzuringen wird wachen Rezipienten durchaus möglich sein. Florian Stegmaier