Bei einem Speed-Dating spricht ein Mensch im engen Zeittakt mit vielen anderen, die ebenfalls einen Partner suchen. Die Lebenshilfe Kirchheim unter Teck übertrug das Konzept auf Politiker. In den Räumen der WEK Kirchheim nahmen sie nacheinander an vier verschiedenen Tischen Platz, um jeweils 20 Minuten mit Experten und Betroffenen über verschiedene Themenbereiche von Inklusion zu sprechen: Über Bildung und Erziehung, Gesundheit und Pflege, Barrierefreiheit und Mobilität sowie Arbeit. Weil fünf Kreis- und Gemeinderäte aus der Region gekommen waren und es aufgehen musste, zogen Martin Auerbach (Die Linke) und Marcel Musolf (Freie Wähler) im Tandem von Tisch zu Tisch. Alleine unterwegs waren Angelika Matt-Heidecker (SPD), Gabriele Klumpp (Grüne) und Dieter Franz Hoff (CDU).
„Es bleibt noch viel zu tun“, sagte die Lebenshilfe-Vorsitzende Bärbel Kehl-Maurer in ihrer Einführung. Schnell zeigte sich bei den Gesprächen, wie recht sie hatte. Bei der Weitervermittlung in den ersten Arbeitsmarkt liegen die WEK-Werkstätten um den Faktor drei bis vier über dem Bundesdurchschnitt von 0,35 Prozent. Doch es gibt Hindernisse: Da beantragt der Geschäftsführer der WEK Werkstätten Esslingen-Kirchheim, Volker Ditzinger, eine Begleitung für 25 oder 30 Stunden, in denen ein Mensch mit Handicap für den ersten Arbeitsmarkt fit gemacht werden soll – und sein Antrag wird abgelehnt. Ditzinger wäre völlig einverstanden, wenn es das Geld erst nach einer erfolgreichen Vermittlung gäbe – doch auch das gibt es nicht. Ein Beispiel für ein eigentlich überwindbares Hindernis: Eine junge Frau könnte in einem Kindergarten arbeiten, doch ihr Problem ist ein sehr schlechter Orientierungssinn, sie verläuft sich sehr schnell. „Ich bräuchte jemanden, der mit mir den Weg zum Kindergarten geht, bis ich es lerne“, sagte sie in der Gesprächsrunde.
Immer wieder verlieren Kinder, die das Regelsystem sprengen, schon nach wenigen Wochen ihren Kindergartenplatz. Der Wechsel in einen anderen Kindergarten bringt oft nichts: Das Kind bräuchte eine Integrationskraft, die es begleitet. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Diagnose – bis zu dieser dauert es aber etwa eineinhalb Jahre. Für viele Missstände und schlechte Strukturen kann der Landkreis nichts, sie werden politisch weiter oben entschieden. Aber, so hoffen Experten und Betroffene, der Landkreis könnte zumindest seine Stimme deutlich erheben.
Lebenshilfe-Vorstand Karl Neidich und seine Sohn Arthur, der im Rolli unterwegs ist, wünschen sich beim barrierefreiem Umbau mehr pragmatische Lösungen, weniger das strenge Achten auf Vorschriften. Und durchgängige Lösungen: „Wenn 90 Prozent einer Strecke barrierefrei sind, bringt das noch nichts.“ Eine Teilnehmerin kennt eine schöne Rathausrampe, an deren Ende eine schwergängige Tür folgt, die ein Rollstuhlfahrer nie alleine aufbekommt. Nicht nur ein Randstein könne eine Barriere sein, sagte Karl Neidich, auch ein Formular.
Manche Ärzte kümmern sich vorbildlich um Menschen mit Behinderungen – auch wenn sie, wenn es länger dauert, deshalb nicht mehr Honorar bekommen. Der Umgang mit Behinderungen, so eine Forderung, sollte bei Ärzten und Pflegepersonal Teil der Ausbildung sein. Es lohnt sich, miteinander zu reden: Nach Gesprächen hat sich das Aufnahme- und Entlassungsverfahren bei Menschen mit Behinderung bei den Medius-Klinken erheblich verbessert. Bisher sind alle Vorstöße zur Einrichtung eines Medizinischen Zentrums für Erwachsene mit Behinderung im Landkreis Esslingen gescheitert. Doch das Thema bleibt auf der politischen Agenda.
„Das hat mir viel Arbeit eingebracht“, sagte Angelika Matt-Heidecker, als sie nach vier Gesprächsrunden auf ihre Notizen blickte. Auch die anderen Politiker hörten sehr gut zu und fragten interessiert nach. Wenn nach 20 Minuten die Glocke ertönte, waren die angeregten Gesprächsrunden noch mittendrin.
In zwei Jahren will die Lebenshilfe Kirchheim unter Teck erneut Politiker einladen: Dann will sie mit ihnen besprechen, was aus den Anregungen geworden ist.