Den Titel „Fahrradfreundliche Stadt“ trägt die Stadt Kirchheim seit 2012, doch die Ergebnisse des ADFC-Fahrradklima-Test wollen dazu nicht so richtig passen. Mit der Schulnote 3,8, also einer „Vier Plus“ haben Radfahrerinnen und Radfahrer das „Klima“ für Zweiradnutzer in der Teckstadt bewertet. Damit belegt Kirchheim von 447 Orten zwischen 20 und 50 000 Einwohnern den wenig schmeichelhaften Rang 150. Im Vergleich zum Jahr 2020 ist das sogar noch eine kleine Verschlechterung, damals lag die Note bei 3,6.
Martin Schmid überrascht das nicht. „Seit 2014 sinkt die Note. Wenn man die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt, stellt man fest: Es hat sich nicht viel getan“, sagt das Vorstandsmitglied des ADFC Kirchheim. Als einen der Gründe nennt er den krankheitsbedingten Ausfall des Radwegebeauftragten der Stadt. Die Stelle sei nun aber wieder neu besetzt. Eine kleiner, wenn auch schwacher Trost: Zwar liegen Nürtingen und Ostfildern aus dem Landkreis vor Kirchheim, haben mit 3,71 und 3,68 aber auch keine überragenden Noten ergattert.
Auf die Frage, was alles in Kirchheim getan werden müsste, lacht Martin Schmid: Wo anfangen und wo aufhören, soll da wohl heißen. Aber als erste, kostengünstige Maßnahme schwebt dem passionierten Radfahrer und Mitinitiator der „Crictical-Mass-Bewegung“ die Nord-Süd- und Ost-West-Achse durch Kirchheim vor. Damit ist eine teilweise Umwandlung bestimmter Straßen zu Fahrradstraßen gemeint. „Dettinger Straße, Lenninger Straße, Gaiserplatz“ nennt er eine Verbindung.
Dass es an der Dettinger Straße zu Engpässen kommen kann, ist ihm klar. „Man muss dem Autoverkehr etwas wegnehmen, ohne wird es nicht gehen“, sagt er und spricht dabei gleich einen weiteren kritischen Punkt an: „Muss die Schöllkopfstraße wirklich vierspurig sein?“ Nicht nur das: Vom Bahnhof kommend hört der Radweg plötzlich auf und Radfahrende müssen sich in den Straßenverkehr einordnen. Näher an der Umsetzung befindet sich die Idee einer Ost-West-Achse, in dem die Tannenberg-, Lichtenstein- und Bismarckstraße in Fahrradstraßen umgewandelt werden.
„Fehlende Wertschätzung“
Heinrich Brinker, Kirchheimer Gemeinderatsmitglied und aktiver Radfahrer, sieht ebenfalls noch viel Luft nach oben: „Der Zustand der Radwege ist ein Problem und die Schutzstreifen funktionieren nicht, wie in Ötlingen zum Beispiel“. Ihm fehlt es vor allem an Wertschätzung für Radfahrerinnen und Radfahrer, dabei hätte die Stadt soviel Potenzial, meint er. Radfahrer und Gemeinderatsmitglied Max Blon würde sich auch mehr Flexibilität in der Kirchheimer Innenstadt wünschen, dass man ab einer gewissen Uhrzeit durch die Fußgängerzone fahren darf. Er bemängelt auch, dass es im neuen Steingau-Areal keinen ausgewiesenen Fahrradweg gibt. „Da hat man nicht an Fahrräder gedacht.“
Der langjährige Kirchheimer ADFC-Vorsitzende Bernd Cremer glaubt, dass es eine umfassende Reform braucht. „Die Straßenverkehrsordnung stammt aus den 30er Jahren und ist komplett auf das Auto fixiert. Die müsste jetzt dringend überarbeitet werden.“ Geduld für ein besseres Fahrradklima ist gefragt: In Holland, dem Fahrrad-Vorzeige-Land, habe man in den 70er Jahren angefangen, den Verkehr auf Zweiräder auszurichten. Die Zeit dafür ist reif, denn die ADFC-Umfrage hat vor allem den Trend zum Umstieg aufs Fahrrad bekräftigt: Immer mehr Menschen ist das Radfahren wichtig. Haben 2012 noch bundesweit 80 000 Menschen teilgenommen, waren es im vergangenen Jahr 245 000.
Diebstähle, Hindernisse und Unsicherheit
Insgesamt 160 Radfahrerinnen und Radfahrer haben bei der Befragung zum Fahrradklima in Kirchheim mitgemacht. Die Top 3 unter den Mängeln belegen Fahrraddiebstähle, Hindernisse auf Radwegen und Fahren auf Radwegen und Schutzstreifen. Positiv werden die Werbung fürs Fahrrad als Verkehrsmittel, die öffentlichen Leihsysteme und die Berichterstattung in den Medien bewertet.
Mit einer Note von 3,84 belegt die Teckstadt bundesweit Rang 140 von 447, landesweit Rang 40 von 72. 24 Prozent sind der Meinung, dass Fahrräder oft gestohlen werden, 9 Prozent macht „Radfahren in Kirchheim Spaß“ (Schulnote 1), 22 Prozent vergaben eine „5“. Dass Radfahrerinnen und Radfahrer im Verkehr akzeptiert werden, glauben die meisten nicht, am häufigsten (je 23 Prozent) wurde die „4“ und „5“ vergeben. Weitere Kritikpunkte: Ampelschaltungen sind nicht gut auf Radfahrer abgestimmt (33 Prozent gaben die „6“) und die Stadt überwacht nicht genug, ob Autos auf Radwegen parken (27 Prozent gaben dafür eine „6“). zap