Wir schaffen das: Dieser Satz Angela Merkels hat 2015 und 2016 den Diskurs und die Haltung gegenüber den Menschen geprägt, die aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland flohen und im Landkreis Esslingen unterkamen. Wer im Teckboten-Archiv blättert, findet viele Texte über Menschen, die mit anpackten und halfen, Tausende von Flüchtlingen willkommen zu heißen, ihnen Deutsch beizubringen und Arbeit zu verschaffen. Natürlich gab es auch dunkle Momente: In Unterensingen ereignete sich ein Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft, in Weilheim marschierte die NPD auf. Einige Asylbewerber begrapschten im Kirchheimer Freibad Teenager, in Gemeinschaftsunterkünften gab es immer wieder Polizeieinsätze.
Auch im Jahr 2022 war – trotz hoher Inflation, Energiekrise und allgemeiner Erschöpfung nach zwei Jahren Pandemie – viel Optimismus und Solidarität zu spüren, als es darum ging, Wohnungen für Tausende von Flüchtlingen aus der Ukraine zu finden. 2023 ist von dieser Stimmung nicht viel übrig geblieben. Der politische Diskurs wird geprägt von der Frage, wie es gelingen kann, das Land weniger attraktiv für Flüchtlinge zu machen. Landräte und Bürgermeister im ganzen Land sprechen von Überforderung und zu wenig Platz, obwohl aktuell nur wenige Sporthallen belegt sind, im Landkreis Esslingen sogar keine einzige. „Wir sind an der Belastungsgrenze. Unsere Kapazitäten sind ausgeschöpft.“ Dieser Satz von Landrat Heinz Eininger stammt nicht aus dem Jahr 2023, sondern aus dem November 2022. Irgendwie ist es seither doch gelungen, Platz für alle zu schaffen, die dem Landkreis zugewiesen wurden – und zwar ohne Sporthallen zu belegen oder Zelte aufzustellen.
Dass die Lage angespannt ist und dass es im dicht besiedelten Landkreis Esslingen eine Herausforderung für Kreis und Kommunen ist, Wohnraum zu schaffen, bezweifelt keiner. Und immer wieder zu betonen, wie wenig Platz man hat, gehört dazu, wenn man Druck aufbauen will. Doch diese Art der Krisenrhetorik erzeugt auch Angst bei Bürgerinnen und Bürgern, die sich sorgen, „was da über uns hereinbricht“, wie es ein Gemeinderatsmitglied neulich formulierte. Angst ist jedoch ein schlechter Ratgeber, erzeugt Wut und im schlimmsten Fall Hass. Angst – auch vor schlechten Wahlergebnissen – sorgt dafür, dass Politikerinnen und Politiker sich aktuell mehr mit der Frage beschäftigen, wie man dafür sorgen kann, dass Flüchtlinge künftig kein Bargeld mehr bekommen, als mit der Herausforderung, Asylbewerber schneller in Arbeit zu bringen oder ausreichend Sprachförderung bereitzustellen. Angst nützt nur der AfD. Der politische Diskurs muss sich wieder drehen. Und zwar hin zu: „Wir schaffen das.“ Antje Dörr