Kirchheim
Kopetzky liest bei Zimmermann aus seinem Roman „Damenopfer“

Lesung Steffen Kopetzky präsentiert in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann seinen neuesten Roman und macht Appetit auf mehr. Von Ulrich Staehle

Die erste Lesung bei Zimmermann in der neuen Runde hat gleich ein großes Format. Steffen Kopetzky, 1971 geboren, gilt derzeit als einer der wichtigsten und vielseitigsten Schriftsteller. Er ist Autor von Erzählungen, Hörspielen, Theaterstücken und vor allem von Romanen, von denen es einige in die Spiegel Bestsellerliste schafften. Die Leiterin der Buchhandlung Zimmermann, Sibylle Mockler, würdigte ihn in diesem Sinne und erinnerte an das Anliegen des Autors: „Ich versuche, Geschichte durch Geschichten zu erzählen.“

Bevor er aus seinem in diesem Jahr erschienenen Roman „Damen­opfer“ las, führte Kopetzky aus, wie er Larissa Reissner als seine zentrale Figur bei der Beschäftigung mit der Weimarer Republik entdeckt hat. Diese lebte von 1895 bis 1926. Als Russin polnischen Ursprungs verbrachte sie aber ihre Kindheit in Deutschland im Exil und beherrschte also die deutsche Sprache. Sie war Dichterin, Journalistin und eine Aktivistin der Weltrevolution, hatte politischen und literarischen Kontakt mit den Größen der Zeit, wie etwa mit Lenin, Trotzki, Ho Chi Minh, Pasternak und Gorki.

Diese Frau möchte der Autor in seinem Roman auferstehen lassen. Das geschieht in 23 Kapiteln auf eine spezielle Art: In den Kapiteln kommen anlässlich der Beerdigung Larissas, die an Typhus jung gestorben ist, Menschen zu Wort, die sich an die Verstorbene erinnern. Aus den Facetten dieser Schilderungen ergibt sich nach 442 Seiten das Gesamtbild einer besonderen Frau, die zu ihrer Zeit durchaus bekannt war.

 

Ich versuche, Geschichte durch Geschichten zu erzählen.
Steffen Kopetzky

 

Der Autor las aus dem zweiten Kapitel die Würdigung ausgerechnet durch einen Totengräber, der Larissa als wagemutige Kommandantin eines Kriegsschiffes und gleichzeitig als seine Lehrerin in Sachen Literatur rühmt. Nach diesem exemplarischen Beispiel schlug der Rezitator gleich das schwergewichtige 17. Kapitel „Das Damenopfer“ auf. Bei einer Gesellschaft in einer Villa am Wannsee findet Larissa anlässlich einer Dichterlesung endlich den deutschen Militärexperten Oskar Niedermayer, den sie schon lange gesucht hatte. Er soll in Zusammenarbeit mit dem in sie verliebten russischen General Tuchatschewski Larissas Träume von einer Weltrevolution verwirklichen. Diese sollte in Deutschland ihren Ausgang nehmen, denn die Weimarer Republik steckte in einer tiefen Krise. Die Revolution hat aber nur in Russland stattgefunden. Dass Larissas Träume eine Illusion sind, zeigt sich schon darin, dass der Autor in der Lesung am Wannsee Parolen verbreitet, die kurz darauf zum Fundament nationalsozialistischer Politik werden. Hier musste Kopetzky seine Lesung aus Zeitgründen abbrechen. Das titelgebende Schachspiel kam nicht mehr dran. Vielleicht hat er sich anfangs in seinem historischen Engagement eine zu ausführliche Einführung gegönnt.

Die vorgelesenen Kostproben, die Steffen Kopetzky stehend und lebendig vortrug – er ist ja auch Theatermann –, machen Appetit auf weitere „Nachrufe“ auf diese Larissa. Erfrischend war, wie er immer wieder bei historischen Vorgängen einleuchtende Parallelen zur Gegenwart herstellte. Appetit macht vor allem die sprachliche Ausstattung, in der der Autor „Geschichte“ erzählt. Jedes Gespräch ist in eine Szenerie eingebettet mit genauen, sprachlich meisterhaft ausgefeilten Details. Man fühlt sich geradezu wie in einem Film. Einwände, dass sich bei der facettenhaften Erzählweise eine unübersichtliche Woge von Namen und Themen aufbaue, treten in den Hintergrund und lässt der Autor auch nicht gelten. Dieser Appetit war am Schluss beim Publikum deutlich zu spüren. Schließlich bewegt sich Steffen Kopetzki thematisch und formal auch ganz innerhalb der literarischen Strömungen der Zeit: Er spürt eine zu Unrecht vergessene starke Frau auf und verwendet die Form einer autofiktionalen Biografie, einer Mischung aus Tatsachen und Erfindung.