Zur Vesperkirche gehört immer ein Kulturprogramm – schließlich lebt der Mensch nicht nur vom Brot allein. Diesmal hatte der Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen den vielseitigen Comedian Helge Thun eingeladen. So dicht vor dem Altar zu spielen, sei für ihn ungewöhnlich, sagte er, ebenso seine Garderobe in der Sakristei. Doch er habe seine Garderobe auch schon einmal im Aussegnungsraum eines Seniorenheims bezogen. Thun zeigte sich begeistert von der knackigen Begrüßung durch Dekan Christian Tsalos. Vor Kurzem sei er bei einem katholischen Mitarbeiterfest aufgetreten, bei dem es vorher eine Andacht gab, da sei die Stimmung nicht sofort derart fröhlich gewesen.
„In der Kirche darf gelacht werden“, hatte Tsalos zur Sicherheit vorab versichert. Das sei in der Kirchengeschichte nicht immer selbstverständlich gewesen, man denke nur an die Ansichten in Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“: Lachen verzerre das Gesicht und mache den Menschen unwürdig. Dabei höre man im Alten Testament sogar Gott immer wieder lachen, sagte Tsalos, und zwar „besonders über die Dummheit von uns Menschen“.
Er könne nicht die Welt und das Klima retten, räumte Helge Thun ein, aber vielleicht den aktuellen Abend. Dafür, so versprach er, werde er sich ins Zeug legen, als ob er nicht vor 200 Menschen in der Vesperkirche, sondern vor 5000 Menschen in der Porsche-Arena stehe. Wenn nun bitte auch das Publikum so tun könnte, als ob es aus 5000 Leuten bestehe. Aber gerne, schon war der Applaus sehr viel lauter.
Aus jedem Wort eine Gedicht
Man kann Thun die unmöglichsten Wörter vorgeben, er macht sicher ein Gedicht daraus. Ein Liebesgedicht mit „Sommerreifen“? Kein Problem, die Liebe muss eben im Sommer reifen … Ob sie den Gag schon verstanden habe, fragte der Comedian beim Gedicht von der Katze eine Sechsjährige im Publikum. Falls nicht, solle sie bitte ihre Eltern fragen, auch im weiteren Verlauf des Abends. Das könne die Eltern womöglich vor Herausforderungen stellen, die sie in der Kirche nicht erwartet hätten, warnte er. Doch ganz so schlimm wurde es selten.
Zehn Jahre lang hat Thun in Tübingen für SWR4 – Werbeslogan laut Thun „wir senden im Heim“ – lokale Ereignisse zu Gedichten verarbeitet. Warum der Wetterhahn von der Mössinger Kirche gestürzt war, war für ihn klar: Wer immer so alleine da oben steht, will irgendwann zu einer Henne. Auch für den 80-Jährigen, der wegen eines Banküberfalls vor Gericht kam, hatte er Verständnis: „Spar dir das Heim, gehe ins Gefängnis.“ Die gesamten Vorgänge im Kreißsaal fasste er in einem einzigen Zweizeiler zusammen: „Die Frau schreit auf, der Mann kippt um, der Mann wacht auf, Geburt ist rum.“ Keiner könne ihm sagen, dass Goethe das besser auf den Punkt gebracht hätte, sagte er selbstbewusst.
Der Comedian schaffte es sogar, parallel zu seinen verblüffenden Seiltricks auch noch auswendig passende Reime zu präsentieren. Später verblüffte er die Zuschauer mit seinen chinesischen Ringen. Sie waren mal auseinander, mal zusammen, in vielen Formen. Der Trick sei seit 1000 Jahren gleich, versicherte Thun. Er gab zwei verschlungene Ringe an einen Tisch, die Leute hatten dort viel Zeit, sich mit dem Trennen zu versuchen, bekamen es aber natürlich nicht hin.
Die neugierige Recherche des Reporters führte zwar nicht ganze 1000 Jahre zurück, aber immerhin bis zu einem Buch aus dem Jahr 1893, das in Frakturschrift einige Hinweise gibt. So viel sei verraten, das tut Thuns Fingerfertigkeit keinerlei Abbruch: Die Ringe sind wohl nicht alle identisch. Was es aber für den Künstler noch schwieriger macht, er darf sie schließlich nicht verwechseln. „Held der Komik“ hat Thun sein Programm genannt, bei dem er auch zum „Herr der Ringe“ wurde. Nach einer runden Stunde war die kurzweilige Aufführung schon vorbei. Zum Schluss erzählte Thun noch von seinem Opa, der die Menschen mit einem einzigen gekonnt platzierten Satz zum Lachen und Prusten bringen konnte. So gut wie der Opa sei er noch nicht, räumte er ein, aber er sei auf einem guten Weg.