Kirchheim
„Leerstand in Kirchheim ist noch nicht dramatisch“

Interview Kirchheims Innenstadt ist ein Juwel, sagt Kirchheims Wirtschaftsförderin Saskia Klinger. Damit das so bleibt, müsse sich einiges ändern. Von Antje Dörr

Aktuell stehen in Kirchheim wieder einige Läden leer, andere suchen Nachmieter. Wie dramatisch ist der Leerstand in der Kirchheimer Innenstadt?

Saskia Klinger: Dramatisch finde ich ihn noch nicht. Er wird vielleicht dramatischer wahrgenommen, als er ist. Wir haben auch nicht unbedingt mehr Leerstand als sonst, allerdings war zuletzt sehr viel parallel frei, beispielsweise der ehemalige Esprit, der Käse Michel und so weiter. Und Flächen wie der ehemalige Esprit fallen auf. Für beide Geschäfte gibt es schon Nachfolger. Wenn man Kirchheim mit anderen Städten vergleicht, geht es uns allerdings sehr gut. Wir haben eine große Branchenvielfalt, viele inhabergeführte Geschäfte. Man bekommt in der Innenstadt alles.

Das sehen viele nicht so. Vielen Menschen fehlen Geschäfte wie H & M, Zara und Co …

Klinger: Dass wir in Kirchheim gerade nicht die sogenannte „Zara-­isierung“ haben, ist ein großes Pfund. Den Charme, den viele Besucherinnen und Besucher der Kirchheimer Innenstadt schätzen, machen die zahlreichen inhabergeführten Geschäfte aus. Gerade junge Menschen suchen natürlich eher nach den „gängigen“ Filialen. Sie können aber auch viele bekannte Marken in den Kirchheimer Geschäften entdecken.

Fielmann zieht in die ehemalige Reno-Fläche. Damit wechselt der Leerstand nur die Straßenseite. Foto: Carsten Riedl

Verglichen mit anderen Städten zieht Kirchheim Kaufkraft aus dem Umland an, und das ganz ohne „Magnete“ wie Ikea oder H & M. Das macht die Stadt für Gewerbetreibende attraktiv, zumindest in der Theorie. Dennoch stehen Geschäfte teils monatelang leer. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Zum einen sind die Mieten teilweise sehr hoch, teilweise auch zu hoch, sodass der Einzelhandel das angesichts von Inflation und steigenden Energiepreisen nicht mehr erwirtschaften kann. Zum anderen haben wir auch einiges an strukturellem Leerstand. Im ehemaligen Café Mohrenköpfle in der Dettinger Straße, das schon sehr lange leersteht, haben immer wieder die Eigentümer gewechselt, ohne dass ein Nachmieter gefunden werden konnte. Gelas Bierstüble steht schon seit Jahrzehnten leer. Da gelingt es nicht, an den Eigentümer heranzukommen. Als Kommune haben wir zudem keinen Hebel in der Hand. Eine extrem hohe Steuer, die wehtut, wäre nützlich. Dann würden Objekte nicht so lange leerstehen und es würden keine Brachen entstehen, während andere händeringend nach Flächen suchen.

Saskia Klinger ist seit acht Jahren Kirchheims Wirtschaftsförderin. Foto: Carsten Riedl

Zurück zum Thema hohe Mieten: Ist die Stadt da im Gespräch mit Eigentümern?

Ja, die Stadt ist im Gespräch. Manche wollen die Mieten gar nicht senken und nehmen dann auch den Leerstand in Kauf. Das ist aber nicht die Mehrheit. Vielen Eigentümern ist wichtig, dass etwas reinkommt und dass es zu Kirchheim passt.

Wie viel Mitspracherecht hat Kirchheim, wenn es um potenzielle Nachmieter in der Innenstadt geht?

Spielhallen und Wettbüros sind in bestimmten Lagen untersagt. Über das Einzelhandelsentwicklungskonzept, das die Stadt schon lange hat, können wir verhindern, dass Konkurrenz für die Innenstadt „auf der grünen Wiese“ entsteht. Es gibt vor, dass sogenanntes einzelhandelsrelevantes Sortiment nicht außerhalb verkauft werden darf. Es ist wichtig, dass man die Innenstadt auf diese Weise schützt.

Wie wird die Kirchheimer Innenstadt in zehn Jahren aussehen?

Wir beobachten, dass immer mehr Dienstleistungsunternehmen in die Innenstadt kommen. Ich hoffe, dass sich dieser Trend nicht verstärkt. Mein Wunsch wäre, dass wir weiterhin eine lebendige vitale Innenstadt haben, wo man alles bekommen kann. Natürlich auch eine Innenstadt mit konsumfreien Zonen, wie dem Garten der Familien-­Bildungsstätte, dem Marktplatz oder dem Bereich rund um die Stadtbücherei, die in der warmen Jahreszeit wie eine Art zweites Wohnzimmer sind. Ich wünsche mir, dass das Zusammenspiel zwischen Einzelhandel und Gastronomie weiterhin funktioniert. Unsere Innenstadt ist auch wichtig für die Fachkräftesicherung der Unternehmen. Mitarbeiter, die nach Kirchheim kommen, sind angetan von dieser idyllischen kleinen Stadt. 

Gibt es Dinge, die sich ändern müssten?

Ich wünsche mir, dass der Kirchheimer Gemeinderat mehr Geld für die Attraktivierung der Innenstadt zur Verfügung stellt, um dieses Juwel zu erhalten. Das beginnt mit einer schönen Begrünung, mit Sitzmöblierung. Wir würden gerne den Wasserlauf in der Dettinger Straße bis hoch zum „Rössle-Platz“ verlängern. Laternen gehören erneuert und mit Stromzufuhr versehen. Außerdem brauchen wir Daten, um die Wirkung bestimmter Maßnahmen zu messen. Wir haben fünf Frequenzmesser bei Einzelhändlern platziert. Beispielsweise werden wir an den Zahlen ablesen können, wie viel Einfluss der Weihnachtsmarkt auf die Frequenz hat, und vielleicht entscheiden, ihn im nächsten Jahr doch ein bisschen länger stattfinden zu lassen. Diese Daten stellen wir auch den Händlern zur Verfügung.

Gibt es Dinge, die Interessenten hemmen, wenn es darum geht, eine Immobilie zu übernehmen?

Der Brandschutz ist auf jeden Fall ein solches Hemmnis. Beim Thema Stellplatz-Ablöse kann man sich streiten. Das ist der Betrag, den Eigentümer von Innenstadt-Immobilien einmalig zahlen müssen, um fehlende Stellplätze auszugleichen. Manche werden das sicherlich auf die Miete draufschlagen. Das kann schon ein Hemmnis bei Neu-Vermietungen sein.

 

Kirchheim hat als Einkaufsstadt die Nase vorn

Dass Kirchheim eine hohe Kaufkraftbindung hat, zeigen diese Zahlen (siehe Grafik unten), die die IHK Region Stuttgart für 2023 veröffentlich hat. Für Städte über 10 000 Einwohner wird jedes Jahr die sogenannte Zentralitätskennziffer errechnet, die sich aus der Verrechnung von Zu- und Abflüssen eines Einkaufsstandorts ergibt. Bei einem Wert über 100 gilt, dass die Kaufkraftzuflüsse aus dem Umland die Kaufkraftabflüsse aus dem Stadtgebiet übersteigen. Bei einem Wert unter 100 überwiegen die Abflüssen an das Umland die Zuflüsse. Im Landkreis Esslingen liegt Kirchheim als einzige Stadt über 100. Stuttgart kommt bei der Zentralität nur auf einen Wert von 113, Göppingen liegt bei 157,6. Alle Zahlen gibt es auf www.ihk.de/stuttgart adö

In diesem ehemaligen Café in der Dettinger Straße ist schon lange kein Kaffee mehr ausgeschenkt worden. Foto: Carsten Riedl