Kirchheim
Lesen macht nicht nur Happy glücklich

Zusammenarbeit Die Kirchheimer Konrad-Widerholt-Förderschule und die Freihof-Realschule kooperieren in einem Leseprojekt. Das gemeinsame Schmökern soll helfen, Vorbehalte abzubauen. Von Anke Kirsammer

Voller Eifer beugen sich die vier Mädchen über ein Buch, in dem es vor Prinzessinnen in pinkfarbenen Kleidern wimmelt. „Heb du und ich lese“, sagt eine Fünftklässlerin zu einer ihrer Mitschülerinnen. Gebannt lauscht die siebenjährige Happy so romantischen Märchen wie Schneewittchen, die die älteren Mädchen ihr vorlesen. Auf dem Sofa gegenüber blättern drei Jungs in einem Buch über Jahreszeiten und picken sich die eine oder andere Geschichte heraus. In Kleingruppen haben es sich Kinder der Kirchheimer Konrad-Widerholt-Förderschule mit ihren Gastgebern im Lesezimmer der Freihof-Realschule gemütlich gemacht. Alle 14 Tage kommen die ungleichen Schüler seit Anfang des Jahres dort zusammen. Im Gepäck haben die Erst- und Zweitklässler der Förderschule Lesestoff, den sie sich in der Kirchheimer Stadtbücherei ausgeliehen haben. Während sich manche von ihnen Texte bereits gut erschließen können, kennen andere gerade mal acht oder zehn Buchstaben. Ganze Wörter zusammenzuziehen, fällt ihnen noch schwer.

„Uns geht es darum, dass die Realschüler Verständnis entwickeln“, sagt die Konrektorin der Konrad-Widerholt-Schule, Monika Bosler-Keppler. Vorbehalte gegenüber Förderschülern seien verbreitet. Das macht sie gemäß Rektorin Susanne Schöllkopf nicht gerade zu geliebten Inklusionspartnern, „Viele glauben, sie sind verwahrlost oder vernachlässigt.“ Mit dem Leseprojekt möchte sie ihren Teil dazu beitragen, Kinder, die die Förderschule besuchen, zu entstigmatisieren. Jedes siebte bis achte Kind habe Lernbeeinträchtigungen. Und das sei nicht die Schuld der Eltern. Momentan besuchen 116 Kinder und Jugendliche die Konrad-Widerholt-Schule - Tendenz steigend.

Isabell Geiger und Tabea Kreußer, Lehrerinnen der 5a der Freihof-Realschule, stehen der Kooperation aufgeschlossen gegenüber. „Vielleicht werden die Förderschüler dadurch besser akzeptiert“, sagt Tabea Kreußer. Die Klassen an der Realschule würden ebenfalls immer heterogener. Auch sie profitiere deshalb von dem Projekt: „Ich bekomme Tipps, wie wir Kinder, die Schwierigkeiten beim Lesen oder Schreiben haben, unterstützen können.“ Außerdem könnten die Lehrerinnen der Förderschule Fort- und Weiterbildungen empfehlen.

Die Fünftklässler genießen es, einmal nicht die Kleinsten zu sein, sondern als Ältere Vorbild. Die Förderschüler, durchweg Erst- und Zweitklässler, freuen sich wiederum, dass sich die Großen um sie kümmern. Im Rahmen des Projekts haben die Lehrerinnen an der Förderschule ein gemeinsames Frühstück organisiert und eine Schulhaus-Rallye angeboten. „Unsere Kinder haben ganz begeistert ihre Schule gezeigt“, erzählt Susanne Schöllkopf. „Sie waren richtig stolz.“

Trotz aller Berechtigung inklusiver Angebote: Die Rektorin ist ein Fan von Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ), zu denen auch die Konrad-Widerholt-Förderschule gehört. „Wir haben Antworten auf die pädagogischen Bedürfnisse unserer Klientel.“ Ihre Aufgabe sei, die Kinder zu stärken, ihnen größtmögliche Teilhabe zu bieten und, wenn möglich, sie für die Rückkehr in eine Regelschule fit zu machen. „Die Kinder und Jugendlichen entwickeln sich. Viele machen den Hauptschulabschluss, manche schaffen sogar die mittlere Reife.“ Ob Autofreak oder Star-Wars-Fan - als die Schulstunde um ist und der Heimweg quer durch die Stadt ansteht, wollen manche ihre Bücher gar nicht zuklappen. „Happy, welche Prinzessin findest du am tollsten?“, fragt Susanne Schöllkopf. Das Glück trägt die Siebenjährige an diesem Morgen nicht nur in ihrem Namen. Sie strahlt: „Ich finde alle toll!“