Quirlig die eine, eher ruhig die andere – Manuella Banzhaf aus Kirchheim und Jade Tomeo aus Méry-sur-Oise, ein Ort, gut 30 Kilometer nordwestlich von Paris, haben für ein halbes Jahr zusammengelebt. „Manu“ hat in Frankreich Käse und Baguette lieben gelernt, Jade im Schwabenland Spätzle und Butterbrezeln. Doch was das Wichtigste ist: Die beiden Mädchen sind in den sechs Monaten richtig „dicke“ geworden. „Wir sind nicht wie Freundinnen“, sagt Jade –, „aber wie Schwestern“.
Mal für eine Woche in einer Familie im Ausland zu Gast sein und dann ebenfalls für ein paar Tage einen Schüler oder eine Schülerin aufnehmen – das ist für viele Jugendliche Wagnis genug. „Manu“ und Jade reichte das nicht. Um in die Kultur Frankreichs beziehungsweise Deutschlands einzutauchen und die jeweilige Fremdsprache besser zu lernen, musste es ein längerer Aufenthalt werden. „Drei Monate sind lang, aber auch kurz“, so lautet das Resümee.
Der Kontakt kam über das Deutsch-Französische Jugendwerk zustande. „Ich habe auch mit anderen Mädchen geschrieben, aber mit Jade habe ich gleich gemerkt, dass es wunderbar funktioniert“, sagt Manu. Sie tauschten sich über die Jugendkultur aus und über ihre persönlichen Zukunftspläne. Beide wollten nach der Schule Richtung Medizin gehen. Das vielleicht Entscheidende aber war, dass der Humor passte.
25 Baguettes eingefroren
Den schwierigeren Part hatte bei dem Austausch Manuella Banzhaf: Nicht wissend, was oder wer sie erwarten würde, stieg sie im Januar in den TGV nach Paris. „Ich hatte anfangs großes Heimweh“, erzählt sie. Nicht in derselben Klasse wie Jade, fühlte sie sich vor allem in der Schule einsam. „Ich habe mich in das Leben in Frankreich reingefunden“, sagt sie, aber in der Klasse seien die Freundschaften oberflächlich geblieben. Viel besser lief’s mit Jades Freundinnen und Freunden und anderen Austauschschülern, die gleichzeitig dort waren: „Mit ihnen habe ich mich blendend verstanden“, sagt Manu und strahlt dabei übers ganze Gesicht. Bei der Familie ihrer „Corres“ fühlte sie sich pudelwohl. Beide wohnen bei ihren Großeltern. Auch das etwas, was die Mädchen vereint. Und wie Jade die Großeltern Banzhaf selbstverständlich mit „Oma“ und „Opa“ anredete, waren Jades „grand-parents“ für Manu „Mamie“ und „Papi“.
Es sind Alltagsgeschichten, die hängenbleiben und bei beiden Mädchen für Schmunzeln sorgen: Dazu gehört die Angewohnheit der französischen Großeltern, beim Bäcker regelmäßig 25 Baguettes zu holen und die ganze Ladung einzufrieren, um immer ein frisches Brot griffbereit zu haben. Und natürlich genoss die Kirchheimerin die Nähe zu Paris. „Dreckig und gefährlich“ sei die französische Hauptstadt. Das wurde ihr vorher von vielen Seiten eingebläut. Klar habe sie wie in anderen Städten Ratten gesehen, erzählt die 16-Jährige, doch liebte sie Abstecher in die Metropole und ganz besonders, sich einfach ans Ufer der Seine zu setzen und die Seele baumeln zu lassen. Zu den Highlights ihre Frankreich-Aufenthalts gehörte eine Reise mit Jade zu Verwandten in die Bretagne beziehungsweise in die Normandie mit dem Besuch des Mont-Saint-Michel und Abstechern nach Saint-Malo und Dinan. Im Gegenzug unternahmen die beiden Mädchen während Jades Aufenthalts in Deutschland einen Trip nach Freiburg. Ansonsten drehte sich viel um die Schule. Manu musste das Versäumte nacharbeiten und möchte in zwei Jahren ein richtig gutes Abi ablegen.
Bereits ein eingespieltes Team, war das Duo Anfang April gemeinsam von Méry-sur-Oise nach Kirchheim übergesiedelt. Mit großem Hallo und einem Willkommensplakat wurden die beiden von Manus Clique am Bahnhof in Stuttgart empfangen. Die Chemie stimmte auf Anhieb: „Meine Freundinnen und Freunde haben Jade sofort adoptiert“, sagt die 16-jährige Kirchheimerin. Sie räumt ein, dass sie anfangs nicht gut ins Deutsche reingefunden hätten. Zu leicht kommt ihr inzwischen die Sprache des Nachbarlandes über die Lippen. Jade, die das „Abibac“, also ein deutsch-französisches Abi machen möchte, ergänzt: „Ich mag Deutsch, aber die Deklination ist schwer.“
Die Schulen unterscheiden sich
Im Ludwig-Uhland-Gymnasium hatte sie es hingegen etwas leichter, als Manu in der französischen Schule. Jade musste keine Arbeiten mitschreiben. Ohnehin hat die 15-Jährige festgestellt, dass es in einer deutschen Schule viel weniger streng zugeht, sie weniger Hausaufgaben zu erledigen und deutlich mehr Freiheiten hatte als in Frankreich. „Bei uns wird überwacht, wer in die Schule geht, und man kommt nur zu einer bestimmten Zeit rein“, erzählt sie. Sie genoss das freitägliche Schülercafé in der Lugeria mit seinen leckeren Snacks, die Natur um Kirchheim und den gemütlichen Bummel in der Fußgängerzone der Teckstadt.
„Ich freue mich auf zuhause, aber ich werde alles vermissen, wenn ich wieder gehe – auch die Freunde von Manu“, sagt Jade wenige Tage vor ihrer Abreise. Fehlen werden ihr die drei anhänglichen Yorkshire Terrier und natürlich ihre neue „Schwester“. Die erklärt noch einmal, was das Besondere am Umgang miteinander ist: „Selbst, wenn wir abends gestritten haben oder die andere nervte – am nächsten Morgen war alles wieder gut.“ – Eben genau so, wie sie es von Geschwistern kennt. Die Bande werden sicher auch über das halbe Jahr hinaus halten: Ende der Sommerferien wird Manu Banzhaf wieder in den Zug nach Paris steigen. Dieses Mal wird es sich anfühlen, als würde sie nach Hause kommen.