Interview
Marcel Musolf: „Es ist von Vorteil, wenn man die Basis kennt“

Vom Bissinger Rathaus an die Spitze eines Schwergewichts unter den Landkreisen in Deutschland: Im neuen Amt hat der jüngste Landrat in Baden-Württemberg nicht nur auf der Karriereleiter Strecke gemacht.

Mit 39 Jahren jüngster Landrat in Baden-Württemberg: Marcel Musolf steht seit Oktober an der Spitze der Verwaltung im Kreis Esslingen.  Foto: Carsten Riedl

Er arbeitet gerne in aufrechter Haltung. Ein Stehpult als zentraler Arbeitsplatz – die einzige Änderung seit Marcel Musolf das Interimsbüro des Landrats in der Esslinger Kronenstraße übernommen hat. Könnte heißen: Themen aussitzen sollen andere. Nach 100 Tagen im Amt erlebt man einen selbstbewussten Kreischef, der aufs Tempo drückt. 

Herr Musolf, gut drei Monate sind seit Ihrem ersten Arbeitstag als Behördenchef im Landratsamt vergangen. Wie fällt Ihre ganz persönliche 100-Tage-Bilanz aus?

Marcel Musolf: Die vergangenen drei Monate waren sehr intensiv. Die Einbringung des Haushalts bis zur Verabschiedung war vielleicht keine ganz typische Situation für einen Start ins Amt. Wir haben gegen Ende des Jahres zudem noch wichtige Themen auf den Weg gebracht. Etwa mit der Einführung der Stipendien für Medizinstudierende und der Gründung des Weiterbildungsverbunds, die einen wichtigen Beitrag darstellen für die künftige Versorgung im hausärztlichen Bereich im Landkreis. Für die Stipendien kann man sich übrigens schon jetzt bewerben. Insofern bin ich mit der Bilanz bisher ganz zufrieden.

Was auffiel: Während der Haushaltssitzungen war quer durch alle Fraktionen von einer neuen Debattenkultur die Rede. Ist das Zufall oder der bewusste Versuch, einen eigenen Führungsstil zu prägen?

Außer beim Lotto setze ich grundsätzlich nicht auf das System Zufall. Mich hat es natürlich gefreut, dass mein Sitzungsstil gleich zu Beginn Anklang gefunden hat. Wir haben im Kreistag eine konstruktive Sitzungsatmosphäre. Das ist mein oberstes Ziel. Ich bin ein sehr geduldiger Mensch und hoffe, mir das auch zu bewahren. Dazu gehört, dass man unterschiedliche Standpunkte anhört und dann bestenfalls zusammenführen kann.

Wo sehen Sie im Moment noch Spielraum, um eigene politische Schwerpunkte zu setzen?

Natürlich sind die Spielräume angesichts eines ganzen Katalogs von Pflichtaufgaben und der finanziellen Verhältnisse in dieser Zeit nicht riesig. Aber genau das spornt mich an. Für mich ist wie eingangs schon erwähnt die medizinische Versorgung abseits der Kliniken, also gerade im hausärztlichen Bereich, eines der zentralen Handlungsfelder, das nicht zu den gesetzlichen Pflichtaufgaben gehört. Ein anderes wichtiges Thema ist der öffentliche Nahverkehr. Für den Busverkehr ist das unsere Pflichtaufgabe. Dort leisten wir beispielsweise bei der Neuausschreibung des Linienbündels am Albtrauf seit 1. Januar mehr, als wir müssen, mit deutlich mehr Fahrtkilometern als bisher und mit einem innovativen, gemeindeübergreifenden On-Demand-Verkehr, also dem Bus auf Bestellung. Denn auch dort, wo Pflichtaufgabe drüber steht, gibt es im Detail viele Gestaltungsmöglichkeiten.

Alle Ihre Vorgänger in jüngerer Zeit waren Verwaltungsjuristen mit Erfahrung in der Finanzverwaltung im Land. Sie sind der erste Landrat, der von „innen“ kommt, als Bürgermeis­ter einer kleineren Gemeinde und als Kreisrat. Läuft man da nicht Gefahr, bei manchen Themen von alten Standpunkten eingeholt zu werden?

Das sehe ich komplett entspannt. Wenn Sie sehen, wie viele neu gewählte Landrätinnen und Landräte in den vergangenen Jahren aus den Reihen der Bürgermeister gekommen sind, dann lässt sich daran ein deutlicher Wandel ablesen. Ich sehe es eher als Vorteil, wenn jemand die Basis gut kennt. 

Trotzdem hatten Sie als Kreisrat der Freien Wähler jahrelang zuvorderst die Belange der Kommunen im Blick. Jetzt müssen Sie sich als oberster Hüter der Kreisfinanzen bewähren. Das ist ein Spurwechsel, der anspruchsvoll klingt.

Der einstimmige Beschluss zur Kreisumlage auf Basis unseres Verwaltungsvorschlags hat bei der Verabschiedung des Haushalts doch gezeigt, dass uns ein austarierter Interessensausgleich innerhalb der kommunalen Familie gelungen ist. Das war mein Ziel und wird es auch bleiben. Wir sitzen schließlich alle in einem Boot, gerade in Krisenzeiten.

Als Landrat ist es wichtig, überregional vernetzt zu sein. Vom Bürger­meis­ter einer 3500-Seelen-Gemeinde ist das naturgemäß nicht unbedingt zu erwarten. Ein Handicap?

Als Handicap würde ich das nicht bezeichnen. Es ist klar, dass der Radius und die Kontaktebene des Verwaltungschefs einer kleineren Gemeinde komplett anders gelagert sind als die eines Landrats, der einen der zehn größten Landkreise in Deutschland verantwortet. Ich merke bei meinen vielen Antrittsbesuchen und den zahlreichen Kennenlerngesprächen, dass man dabei in unglaublicher Geschwindigkeit ein großes Netzwerk knüpft. Das erweitert sich mit jeder Arbeitswoche. 

Welcher Aufgabe begegnen Sie mit dem meisten Respekt?

Das ist nicht die „eine“ Aufgabe. Es ist das Amt mit allen Facetten und Herausforderungen. Es gibt in unserem Aufgabenkatalog fast kein gesellschaftlich wichtiges und finanzintensives Thema, das nicht bespielt werden will. Ich bin daher überzeugt, dass es geboten ist, auch eine gewisse Demut an den Tag zu legen. Mit Blick auf den Haushalt stellt sich die Frage: Welches Thema ist denn kein dicker Brocken? Es wird im Kreistag jetzt darum gehen, wie wir Themen priorisiert bekommen und wie wir eine Strategie entwickeln, um die Summe dieser Herausforderungen bewältigen zu können. Dabei muss allen klar sein, dass auf die Kommunen keine neuen Aufgaben zukommen können, die nicht nachhaltig ausfinanziert sind. Denn wer bestellt, muss auch bezahlen. Schauen wir uns nur beispielhaft das Deutschlandticket an – eine so tiefgreifende Tarifreform ohne verlässliche Finanzierungssicherheit ab 2026. Dies darf sich nicht zulasten der kommunalen Haushalte entwickeln, das ist nicht leistbar. Ein „Weiter so“ mit Blick auf das Zusammenspiel von Bund, Land und kommunaler Ebene kann es nicht geben.

In Bissingen, wo Sie immer noch wohnen, wird demnächst Ihr Nachfolger gewählt. Dass es nur einen Bewerber gibt, ist längst kein Einzelfall. Um das Amt des Bürgermeisters scheint sich niemand mehr zu reißen. Macht Ihnen das Sorge?

Sorge wäre das falsche Wort. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft auf motivierte Menschen treffen, die sich für ein Wahlamt begeistern lassen. Grundsätzlich ist es wichtig, dass wir auch mit Blick auf den Fachkräftemangel auf die Vorzüge des öffentlichen Dienstes aufmerksam machen. Dass man dort gestalten und sich für die Gemeinschaft sinnstiftend einbringen kann.

Wann ziehen Sie um in Ihr Büro im neuen Landratsamt?

Wir gehen fest davon aus, dass im Herbst die Übergabe und damit auch der Umzug stattfinden kann. Ich hoffe sehr auf einen schönen Weihnachtsbaum im neuen Foyer.