Wenn du dahin gehst, bist du selber krank“. Gerda Claus bekam diesen Satz früher oft zu hören, als sie als Ehrenamtliche in der Kontaktgruppe des Sozialpsychatrischen Diensts der Diakonie in Kirchheim anfing. Das schreckte die „Frau der ersten Stunde“ nicht ab. Sie ist bis heute hoch motiviert, seit 50 Jahren engagiert und kann zusammen mit der Kontaktgruppe ihr 50-jähriges Jubiläum feiern.
So lange gibt es den Sozialpsychiatrischen Dienst Kirchheim schon, der Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren Angehörigen Unterstützung, Rat und Begleitung bietet. Bis in die 70er Jahre wurden psychisch erkrankte Menschen in geschlossenen Anstalten und Heimen untergebracht. Das änderte sich nach einer Reform. Danach öffneten sich die Institutionen, und neue Lösungsansätze waren gefragt. In den Kontaktgruppen der Diakonie fanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beständige Strukturen und einen festen Rahmen, was so wichtig sei bei psychischen Erkrankungen, sagt Eberhard Haußmann, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen.
Angehörige, Institutionen, Arbeitgeber oder der Betroffene selbst wenden sich heute an den Sozialpsychatrischen Dienst, der eine Einzelfallberatung durchführt. Wenn nötig, werden sogar Hausbesuche angeboten, um den Erstkontakt herzustellen und den Betroffenen von einer ärztlichen Behandlung zu überzeugen. „Das Wichtigste ist, eine Beziehung aufzubauen und Vertrauen herzustellen“, erklärt Dorothee Ostertag-Sigler, Leiterin der Kontaktgruppe. In ausgefallenen Situationen sei Kreativität gefragt, und so lassen sie und ihre Mitarbeiterinnen sich schon mal auf wahnhafte Zwangsvorstellungen ihrer Klientel ein und schlagen vor, „ein Medikament zum Schutz vor den bösen Geistern“ zu nehmen. Sie versuchen zu überzeugen, dass es besser ist, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Durch frühzeitige Medikation und rechtzeitige Behandlung wären so manche stationäre Aufenthalte vermeidbar gewesen, bedauert sie. Aber die Betroffenen müssen zustimmen, sonst ist nichts zu machen. Später würde die Verbindung zur Kontaktgruppe hergestellt, und die Betroffenen bekämen dort Hilfe bei Behördengängen oder beim Ausfüllen von Formularen.
Bei Fremd- und Eigengefährdung sei manchmal die Zwangseinweisung der letzte Ausweg, aber das seien eben Extremsituationen. Aktuell besuchten zwischen zehn und achtzehn Personen regelmäßig die Kontaktgruppe. Die meisten davon sind über 50 Jahre alt, die Frauen bilden die Mehrheit. Auch Monika Fischer, die durch die Gruppe gelernt hat, mit ihren Ängsten und Zwängen besser umzugehen, kam durch die Betreuung von Dorothee Ostertag-Sigler dazu. Die Gruppe tue ihr gut, sagt sie, muntere sie auf und stärke ihr Selbstvertrauen, denn inzwischen engagiert sie sich im Tierschutz. Das alles wäre früher nicht möglich gewesen, erst hier habe sie Freundschaften geschlossen und immer Ansprechpartner gefunden. Hier findet sie Halt, die Gruppe ist fester Bestandteil ihres Lebens.
Die Treffen finden ein Mal in der Woche statt, seien abwechslungsreich und unterhaltsam. Gerda Claus verrät, dass das Eisessen besonders beliebt ist, aber auch miteinander Kochen mache immer Spaß. Spiele, Singen oder manchmal Vorträge runden das Programm ab. Um das attraktive Angebot aufrecht zu erhalten, benötigt die Einrichtung Gelder, die aktuell vom Landratsamt kommen, vom Gemeindepsychatrischen Verband und der Stadt. Dorothee Ostertag-Sigler stört, dass man für psychisch erkrankte Menschen immer auf „Betteltour“ gehen müsste, denn sie seien eine „stille Gruppe“, bei der vieles im Verborgenen ablaufe. Sie fänden in der Öffentlichkeit kaum Beachtung, die Akzeptanz müsse erhöht werden. Etwas besser als früher sei es geworden, aber es bestünden immer noch Vorurteile in der Gesellschaft. „Die Gesellschaft soll achtsamer werden“, erwartet Eberhard Haußmann und wünscht sich: „Bitte nicht bewerten“, denn eine psychische Erkrankung kann jeden im Laufe seines Lebens treffen. Für Gerda Claus, die aus ihrer Arbeit mit den Erkrankten viel Kraft schöpft, ist es wichtig, ihnen zuzuhören und für sie da zu sein. Sie hofft, dass noch mehr Ehrenamtliche diese fordernde, aber auch sinnstiftende Aufgabe unterstützten.