Kirchheim
Mehr Barrierefreiheit in Kirchheims ÖPNV

Inklusion Wie gelingt es, dass auch Menschen mit Behinderung gut Bus und Bahn fahren können? Zwei Bewoh­nerinnen der Lebenshilfe-Wohngruppe am Ziegelwasen erzählen von ihren Erfahrungen. Julia Nemetschek-Renz

Nicole Meca und Sandra Mayer stehen an der Kirchheimer Bushaltestelle „Kruichling“. Ein langer Arbeitstag in der Werkstatt liegt hinter ihnen – jetzt wollen sie schnell nach Hause. Sie leben in der Außenwohngruppe der Lebenshilfe am Ziegelwasen. „Laufen wäre mir da zu weit“, erzählt Sandra Mayer. „Ich mache eher kleine Schritte. Das würde bestimmt eine Stunde dauern“, sagt sie – und bringt mit dieser Aussage Nicole Meca zum Lachen. Manchmal läuft Sandra Mayer auch, aber eigentlich fährt sie am liebsten mit dem Bus. Der ist nicht nur schneller, sondern bei dem kalten Wetter auch gemütlicher. Ihren Behindertenausweis hat sie schon in der Hand. Mit ihm darf sie den öffentlichen Nahverkehr umsonst nutzen. Für sie ist es ganz selbstverständlich den Bus zu nehmen – das gilt auch für einige ihrer WG-Mitbewohnerinnen. Doch was brauchen Menschen mit Behinderung, um ohne Einschränkungen den öffentlichen Nahverkehr nutzen zu können?

 

Einfachere Sprache auf den Busplänen würde allen helfen.
Sandra Mayer lebt in der Außenwohngruppe der Lebenshilfe und fährt regelmäßig mit dem Bus.

 

„Ich schau immer auf die App, bevor ich losfahre“, hat Nicole Meca ein paar Tage vorher zu Hause in der WG erzählt. Sandra Mayer sagt, sie achte immer gut auf die Uhrzeit. Sie hat Sorge, dass der Bus vielleicht schon weg ist. „Klar, lesen können, die Uhrzeit verstehen und ein Telefon dabeihaben. Das ist schon gut“, sagt Ulrike Winkler, Mitarbeiterin der Lebenshilfe in der Wohngruppe am Ziegelwasen. Doch einige Menschen mit Behinderung orientierten sich dazu auch an der Farbe oder Größe des Busses. „Und wenn dann mal kein großer gelber Ziehharmonika-Bus kommt, sondern ein kleiner grüner, wartet man lieber auf den nächsten.“ Sie lächelt. Im Mittelpunkt stünden immer die Wünsche der Menschen mit Behinderung und die größtmögliche Selbstbestimmung für jeden Einzelnen. Manchmal brauche es eben auch nur ein bisschen Übung – oder nette WG-Mitbewohnerinnen. Vor zweieinhalb Jahren ist Nicole Meca in die WG gezogen und da hätten die anderen sie einfach mit dem Bus in die Werkstatt mitgenommen.

Doch was fehlt den Menschen noch in Kirchheim? „Einfachere Sprache auf den Busplänen“, sagt Sandra Mayer, die würde allen helfen. Und vielleicht Symbole oben an den Bussen, die könnten alle verstehen, sagt Nicole Meca. Jetzt kommt der Bus. Nicole Meca zieht ihre Kapuze noch weiter ins Gesicht. Der Wind bläst stark – und nun fängt es auch noch zu regnen an. Sie steigt vorn beim Busfahrer ein, grüßt und zeigt ihren Behindertenausweis – in wenigen Minuten ist sie zu Hause.

121 Haltepunkte gibt es in der Stadt Kirchheim. 29 Haltestellen mit je zwei Haltepunkten sind schon barrierefrei umgebaut oder werden in den Jahren 2023 und 2024 barrierefrei umgebaut, so eine Sprecherin der Stadtverwaltung. Für den Umbau zwölf weiterer Haltestellen im Jahr 2024 hat die Stadt einen Antrag auf Förderung beim Regierungspräsidium Stuttgart gestellt.

Barrierefreier Umbau heißt: Der Bordstein wird auf eine Höhe von 18 Zentimetern ausgebaut, damit Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer ohne Rampe in den Bus gelangen. Ziel ist es, einen stufenlosen Zugang vom umgebenden Wegenetz zur Haltestelle zu schaffen, inklusive taktiler und kontrastreicher Bodenelemente. Wenn die Platzverhältnisse es ermöglichen, werden die Haltestellen außerdem mit einem überdachten Wetterschutz und einer Sitzmöglichkeit ausgestattet.

Ein Häuschen mit einer Sitzbank für den stürmischen Herbst und die kalten Winter – das wünscht sich Sandra Mayer schon lange für die Haltestelle „Kruichling“ an der Werkstatt. „Weil hier immer so viele Menschen stehen und so lang warten müssen“, sagt sie.

 

Bauarbeiten haben begonnen

Als Beirätin der Lebenshilfe vertritt sie die Interessen der Menschen mit Behinderung und war im Vorjahr bei Oberbürgermeis­ter Bader zu Besuch im Rathaus. Der versprach, den barrierefreien Umbau der Haltestelle vorziehen zu lassen – und hielt sein Wort: Die Bauarbeiten am Kruichling haben begonnen. „Der Umbau der Haltestelle im Kruichling wurde zeitlich vorgezogen und erfolgt ohne Fördergelder. Gemeinsam wurde die Priorisierung dieser Bushaltestelle aufgrund der im Kruichling ansässigen Werkstätten für Menschen mit Behinderungen neu bewertet“, so eine Sprecherin der Stadt. Vorrausichtlich bis zum Ende des Jahres sollen die beiden Haltepunkte barrierefrei sein. Und ein Häuschen gegen den kalten Wind? Wird gebaut, inklusive Sitzmöglichkeit im Trockenen.