Kirchheim
Mehr Verständnis, aber wenig Hoffnung

Dokumentation Der Regisseur Andrei Schwartz hat eine Gruppe Roma begleitet, die zwischen Hamburg und ihrem rumänischen Heimatdorf Namaiesti pendeln. Der Film bewegte die Zuschauer im Tyroler Kino. Von Peter Dietrich

Knapp 30 Zuschauer waren in die Vorführung des Dokumentarfilms „Europa Passage“ ins Tyroler Kino gekommen. Verglichen mit dem großen Kreis der Einladenden war das überschaubar: Zum Rosa-Luxemburg-Club Kirchheim und der Straßenzeitung „Trott-war“ hatten sich die GEW, die Bruderhaus-Diakonie, Attac Kirchheim, der DGB-Kreisverband sowie die Linke und die Frauenliste im Kirchheimer Gemeinderat gesellt. Dass der Film nach Kirchheim kam, verdankte er seiner Vorstellung in „Trott-war“, die Heinrich Brinker entdeckt hatte. Der Regisseur Andrei Schwartz war zum Filmgespräch extra aus Hamburg angereist. „Es ist ein harter Film“, sagte er den Zuschauern, und bat sie vor der Vorstellung dennoch, an den geeigneten Stellen auch einmal zu lachen.

Andrei Schwartz wurde in Rumänien geboren, lebt aber schon lange in Deutschland. Er konnte mit der Gruppe von Roma, die er fünf Jahre lang filmisch begleitet hat, in ihrer Muttersprache sprechen, die Dialoge sind Deutsch untertitelt. Mehrmals ist er zu den Roma in ihr Heimatdorf Namaiesti gereist. Die ärmlichen Bilder von dort und die geschäftigen aus Hamburg sind im Film teils hart aneinander geschnitten. Ein brutaler Kontrast.

In Namaiesti fehlt es an Arbeit. Nach Ende des Kommunismus wurden viele Werke geschlossen, nur die Firma Holcim hat in der Nähe eine Produktion. Das Anfertigen von Besen bringt auch nicht viel ein. Ein Einkäufer, der ins Dorf gekommen ist, bietet pro Stück 40 Cent. So leben die meisten von Sozialhilfe und Kindergeld. Diejenigen, die nach Hamburg kommen, leben dort unter der Brücke oder in einer alten Gartenhütte. Anfangs traf der Regisseur auf große Skepsis: Die Menschen befürchteten, dass durch die Filmproduktion die Polizei auf sie aufmerksam wird und sie bald vertrieben werden. Doch mit der Zeit wuchs das Vertrauen. So fingen Andrei Schwartz und sein Team auch sehr persönliche Dialoge ein, erlebten Sticheleien und Rivalitäten.

Das Budget lag bei 600 000 Euro

„Die Leute wollen arbeiten“, sagt der Regisseur. Doch ohne festen Wohnsitz, offizielle Anmeldung und Steuernummer gehe das nicht. Hinzu kommen fehlende Sprachkenntnisse. Tirloi ist der einzige im Film, der es geschafft und Arbeit hat. Doch seine Frau Maria bettelt noch immer. Sie holen ihre Enkelin zu sich nach Hamburg, sie lernt als erste der Familie Lesen und Schreiben.

Das Budget für den Film betrug 600 000 Euro, die Hälfte davon kam aus Fördermitteln. Dass der NDR an einer Dokumentation, die zum großen Teil in Hamburg spielt, bisher kein Interesse hatte, hat den Regisseur schwer enttäuscht. Doch er hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Derzeit ist der Film auf Kinotour, teils gemeinsam mit Straßenzeitungen. Eine DVD soll später folgen.

Stecken hinter bettelnden Menschen Banden? „Ich will nicht ausschließen, dass es so etwas gibt“, sagt Andrei Schwartz. Doch bei den Menschen, die er begleitet hat, hat er darauf keine Hinweise entdeckt. „Wenn es im Dorf einen Mafiosi gäbe, hätten die Menschen mir das erzählt.“ Er bezweifelt auch, dass sich das lohnen würde – Maria nehme am Tag vielleicht 15 Euro ein. Der Regisseur erhebt nicht den Anspruch,  eine objektive Analyse zu liefern: „Es ist mein subjektives Empfinden von diesen Leuten.“ Nicht er sei der Filmemacher, sagt er: „Meine Protagonisten sind die Filmemacher.“ Deshalb seien sie für ihre Mitarbeit auch entlohnt worden. „Ich würde aber nie jemanden bezahlen, damit er eine bestimmte Aussage macht“, zieht der Regisseur seine Grenzen.

Wie ließe sich die Situation im Heimatdorf verbessern, damit nicht „Betteln in Deutschland“ die bessere Alternative ist? Darauf gibt der Film keine Antwort, das will er auch nicht. Gäbe es nicht immer wieder eingeblendete Jahreszahlen, die Aufnahmen wären kaum zu unterscheiden, eine Besserung der Lage wie bei Tirloi ist die Ausnahme. So macht der Film wenig Hoffnung. Doch er bietet eine wertvolle Bestandsaufnahme. Und er kann vielleicht für etwas mehr Verständnis sorgen – auch Menschen gegenüber, die mit einem Sammelbecher auf Kirchheimer Straßen sitzen.