Der Job für Grundschullehrerinnen und -lehrer ist anspruchsvoller geworden: Es geht heutzutage vermehrt um Inklusion von Kindern mit auffälligen Verhalten und psychischen Erkrankungen und die Förderung und Integration von Kindern mit Zuwanderungshintergrund. Für all das fehlt es an den Grundschulen laut David Warneck, Kreisvorsitzender der Lehrergewerkschaft GEW, jedoch an Zeit und Personal. Man habe daher einen Brandbrief an Kultusministerin Susanne Eisenmann geschrieben. Bis 2030 schätzt Warneck, dass zusätzlich rund 4 000 Stellen an den Grundschulen benötigt werden, denn die Schülerzahlen steigen. Auch im Landkreis Esslingen gibt es das Problem: „Zum Schuljahresbeginn sind nirgendwo 100 Prozent besetzt“, sagt David Warneck. Das Problem seien hier hohe Mieten und Lebenshaltung: Daher werden die Schulen im Landkreis bei Lehrern wenig nachgefragt.
Dem Lehrermangel begegne man in Baden-Württemberg derzeit mit einem „Vorgriffsstundenmodell“. „Drei Jahre lang können Lehrer wöchentlich eine Stunde mehr arbeiten. Danach müssen sie diese wieder abfeiern“, erklärt David Warneck, fügt aber gleich hinzu: „Das ist aber unattraktiv.“ Das Problem ist, dass diese Regelung nur für einen Teil der Lehrerschaft infrage kommt. Die Schulleitung oder Lehrer ab einem bestimmten Alter sind davon ausgenommen. Außerdem verschiebe es das Problem nur zeitlich. „Wir brauchen eine feste Vertretungsreserve, die dem stattfindenden Ausfall entspricht“, heißt es im Brandbrief.
Wenn ein Kollege krankheitsbedingt ausfällt, sieht die Praxis an den meisten Grundschulen im Kreis derzeit so aus: „Die Kinder werden auf verschiedene Klassen verteilt. Wir schicken niemanden zurück“, sagt Sandra Schettke von der GEW-Fachgruppe Grundschule, die an der Esslinger Waisenhofschule unterrichtet. Auch helfen Kollegen anderer Grundschulen aus oder pensionierte Lehrer, ergänzt David Warneck. Auf dem Papier steht bei Grundschulen im Land somit lediglich eine Ausfallquote von 1,1 Prozent. Das ist deutlich niedriger als zum Beispiel beim Gymnasium mit 5,8 Prozent. Dadurch werde das Problem nur verschleiert, meinen beide.
Was künftige Lehrer von der Grundschule abschreckt, sind David Warneck und Sandra Schettke zufolge mehrere Faktoren. Zum einen liegt das so genannte Deputat, also der Anteil von Pflichtstunden an der Wochenarbeitszeit, bei 28 Unterrichtsstunden an der Grundschule, im Vergleich zu 25 Unterrichtsstunden am Gymnasium. Doch die Rechnung, dass Grundschullehrer weniger Unterricht vorbereiten müssen, geht nicht mehr auf. Das hängt mit den eingangs beschriebenen Anforderungen zusammen. „Wir brauchen mehr Stunden für Vorbereitungsklassen und weitere Sprachfördermaßnahmen“, heißt es in dem Brief an die Kultusministerin. Die 4. Klassen in Baden-Württemberg hätten mit 44,3 Prozent den höchsten Anteil von Schülern mit Zuwanderungshintergrund in den deutschen Flächenländern. Hinzu kommen Kinder mit psychischen oder physischen Erkrankungen.
„Wir sind für Inklusion“, betont David Warneck. Aber: Dafür braucht es mehr Betreuung im Unterricht. Mehr „Schulsozialarbeit“ und „professionelle“ Unterstützung seien dringend vonnöten, heißt es im Brandbrief weiter. „Viele Kinder kommen ohne Deutschkenntnisse“, berichtet Sandra Schettke aus der Praxis. David Warneck fordert außerdem ein erweitertes Lehrangebot. „Es gibt immer noch keinen Ethik-Unterricht an den Grundschulen“, sagt er. Die Folge: Kinder aus Familien mit islamischem Glauben haben keinen Unterricht.
Besoldung A12 statt A13
Bei all dem verdienen die Grundschullehrer auch noch weniger als ihre Kollegen an Realschulen und Gymnasien. „Wir haben A12“, sagt Sandra Schettke. Zum Vergleich: Ein verbeamteter Gymnasiallehrer hat Besoldungsstufe A13. Das könne sich aber bald ändern, in den ersten Bundesländern gebe es an Grundschulen bereits A13 - in Baden-Württemberg aber noch nicht.
Sandra Schettke liebt ihren Beruf, sieht aber auch die Veränderungen. „Dass Kollegen aussteigen wollen aus dem Schulbetrieb, das hab ich früher nicht erlebt.“ Was sie aber nach wie vor begeistert: „Dass dich Kinder umarmen und erzählen, was sie am Wochenende erlebt haben. Das erlebt man an anderen Schulformen nicht.“ Neben der Bezahlung müsse sich auch die Wertschätzung der Grundschullehrer ändern. „Wir legen den Grundstein für die Bildung der Kinder.“ Damit ihr Beruf wieder attraktiver wird, sind für sie zwei Dinge essentiell: „Mehr Zeit und mehr Anerkennung.“