Kirchheim
Meisterkonzert in Kirchheim: Zwischen Brillanz und Misstönen

Musik Der Pianist Christoph Soldan begeisterte sein Publikum in der Kirchheimer Stadthalle mit anspruchsvollen Werken von Brahms und Liszt. Von Hans-Günther Driess

Ich bin beeindruckt von der seelischen Größe dieses jungen Musikers“, charakterisierte Leonard Bernstein bei einer Tournee im Jahre 1989 den damals 25-jährigen Pianisten Christoph Soldan. Das Kompliment des großen Dirigenten konnten ganz offensichtlich die Besucher des Meisterkonzerts des Kulturrings in der Kirchheimer Stadthalle teilen. Sie waren begeistert von Soldans Klavierspiel, seiner enormen Gestaltungskraft, seinem variablen Anschlag und seiner spieltechnischen Perfektion. Entsprechend würdigten sie seine großartige Leistung am Ende des Konzerts mit rhythmischem Klatschen und Bravo-Rufen.

Anspruchsvolles Werk

Hochachtung gebührt dem Künstler, der das ganze Konzert mit anspruchsvollen Werken von Johannes Brahms und Franz Liszt auswendig vortrug und ohne Textvorlage moderierte. Er setzte sich mit der geistigen Dichte der Kunstwerke auseinander und stellte sie in den musikhistorischen Zusammenhang des Musikstreits im 19. Jahrhundert, als deren Hauptvertreter Brahms und Liszt gelten. Ein technisch und musikalisch ungeheuer anspruchsvolles Werk hat sich Soldan vorgenommen mit den „Variationen über ein Thema von Händel opus 24“. Es ist nicht einfach, sich einen Weg durch die 26 Variationen zu bahnen. Aber da man den Pianisten in Kirchheim seit langem kennt, geschieht das Erwartbare: Meisterlich bewältigt er diesen monumentalen Zyklus mit seinen Kontrasten zwischen virtuosem Feuerwerk und romantischer Poesie. Unter dem Spannungsbogen des Themas, seiner Basslinie und Harmonik baut sich die ganze Vielfalt von Variationsmöglichkeiten auf. Mal kantabel und lyrisch, mal von entfesselter Virtuosität, mal tänzerisch, mal im schlichten, mal im komplexen Satz, wo gelegentliche Patzer nicht ausbleiben.

Ungestimmt und ungeschmückt

Herrlich kommen die an Beethoven erinnernden dramatischen Ausbrüche daher und wie Balsam für die Seele erklingt zwischendurch eine Art „Lied ohne Worte“. Soldans ausdrucksvolles Spiel besticht durch fein nuancierte Lautstärkewechsel auf engstem Raum, laute Passagen wirken zum Teil aufdringlich. Aber was den Hörgenuss mehr schmälerte, war der nicht gestimmte Konzertflügel. Ist es schwäbischer Sparsamkeit geschuldet, dass auch kein Blumenschmuck dem Konzert den angemessenen feierlichen Rahmen verleihen konnte?

Mit Können und Spiellust

Franz Liszt war in den Salons des Virtuosen-Zeitalters in ganz Europa der unangefochtene Herrscher auf dem Pianoforte, ein Superstar, der Paganini des Klaviers. Christoph Soldan hat für den zweiten Konzertteil dessen „Années de pélérinage“ ausgewählt und versetzt damit das Kirchheimer Publikum durch pianistisches Können und spielerische Lust in Erstaunen. Liszt hat in diesen Charakterstücken seine Reiseerlebnisse in Italien, literarische Vorlagen und Eindrücke aus der Natur in Töne übertragen. Unter anderem inspirierte ihn das Gemälde „Vermählung Marias“ des Renaissance-Malers Raphael zum Stück „Sposalizio“. „Hier findet ein Gespräch zwischen den dargestellten Personen Maria und Joseph mit Gott statt, das wie eine achtminütige Mini-Oper anmutet“, kommentiert Soldan, der den Zuhörern amüsante Erzählungen und Informationen über den Komponisten anbietet: „Franz Liszt lebte einige Jahre in Tivoli in der Nähe von Rom in der „Villa d’ Este“, die berühmt ist für ihre prächtige Gartenanlage mit Zypressen und Wasserspielen.“

Dort komponierte er 1877 schon vor Debussy und Ravel das erste impressionistische Werk der Musikgeschichte: „Les jeux d’eau á la villa d’este“. Das Fließen und Sprudeln des Wassers findet sein Pendant in schwerelos fließenden Melodien und flirrenden Tongirlanden. In Verbindung mit sich auflösenden Harmonien und das Metrum verschleiernden Klangteppichen entsteht ein Tongemälde, das auf die Malerei des Impressionisten Claude Monet verweist.

Mit Leonard Bernstein auf Tournee gewesen

Christoph Soldan wurde 1964 geboren und studierte bei Eliza Hansen und Christoph Eschenbach an der Hamburger Musikhochschule. Sein Durchbruch zu einer regen, internationalen Konzerttätigkeit gelang ihm nach einer gemeinsamen Tournee mit Leonard Bernstein im Sommer 1989. Seitdem hat Soldan mit namhaften Orchestern in ganz Europa, in Mexiko und anderen Ländern Mittelamerikas konzertiert. Weitere Konzerte folgten in Japan, im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie und im Leipziger Gewandhaus. Seine hohe Reputation dokumentieren Rundfunk- und Fernsehproduktionen. Neben seiner Pianisten-Tätigkeit wirkt Soldan als Dirigent und künstlerischer Leiter mehrerer Konzertreihen innerhalb Deutschlands.