Für diesen künstlerischen Geniestreich bedarf es äußerlich nicht viel. Ein Stuhl, ein Bodenscheinwerfer, zeitweilig ein Mikrofon. Es war ein reduziertes Setting, mit dem Christian Fries seine Bühnenfassung von Thomas Bernhards Roman „Der Untergeher“ im Kirchheimer Alten Gemeindehaus zur Aufführung brachte.
vorbei – und denk öffentlich.
Umso mehr Raum bestand für Bernhards Text, sich in Fries’ bannender Bühnenpräsenz zu entfalten. Das auf elementare Parameter heruntergebrochene Bühnenbild diente als offenes Gehäuse, in dem der Schauspieler das Publikum in die literarische Denkbewegung hineinnahm: „Ich komme sozusagen auf einen Sprung vorbei und denke öffentlich – das ist die Idee“, so Fries.
Und in der Tat ist Bernhards Text größtenteils eine gedanklich vollzogene Rekonstruktion. Zwei junge Pianisten begegnen Ende der 50er-Jahre bei einem Sommerkurs am Salzburger Mozarteum dem kanadischen Pianisten Glenn Gould, seiner Interpretation der Goldberg-Variationen. Die Konfrontation mit dem in Gould personifizierten Kunstideal erweist sich als schicksalhaft. Beide brechen ihre Karrieren ab, einer endet gar als Selbstmörder.
Im inneren Monolog blickt der Ich-Erzähler zurück, seziert das Vergangene und bedient sich des typisch Bernhardschen Stilmittels eines „periskopischen Erzählens“, eines rückversichernden Erzählens um mehrere Ecken herum: „sagte er, dachte ich“. Fraglos ist „Der Untergeher“ ein Text über künstlerisches wie menschliches Scheitern, der einen Gang durch den existenziellen Nullpunkt antritt. Aber ebenso ein Text mit hohem komödiantischem Gehalt, den Fries feinsinnig wie genüsslich ausspielte.
Nun könnte eine gut zweistündige und auf wenige performative Akte beschränkte Darbietung leicht zur Publikumstortur werden. Das Gegenteil war der Fall. Von Anfang an erzeugte Christian Fries’ Spiel eine fesselnde Präsenz, seine im Sprachfluss gerinnenden Reflektionen eine fast schon greifbare substanzielle Sättigung des Bühnenraums. Lebhaft konnte das Kirchheimer Publikum nachvollziehen, warum diese Bühnenfassung von der Fachpresse als Meisterwerk gefeiert wird. Scheinbar mühelos gelang es Fries, die literarisch gegebene Denkbewegung in szenische Unmittelbarkeit zu heben und den Bernhardschen Text in all seiner Vielschichtigkeit gleichsam aus der Luft zu greifen.
Großes schauspielerisches Können, zweifellos. Aber auch Ausdruck spürbarer Schnittmengen zwischen Text und eigener Biografie. Als ehemaliges Ensemblemitglied ist Christian Fries dem Wiener Burgtheater und dem Stadttheater Gießen verbunden. Er arbeitet als Regisseur und Autor, war eingeladen zum Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Als ausgebildeter Pianist, zudem Verehrer Glenn Goulds, befindet er sich seit Jahren in einer eigenen Auseinandersetzung mit den Goldberg-Variationen, die sich leitmotivisch durch Bernhards Roman ziehen. Darüber hinaus sind ihm auch die problematischen Facetten des Künstlertums vertraut: „Das Problem der Abkapselung, des Rückzugs, der Menschenfeindlichkeit – all das hat mich bei der Lektüre angesprungen“, sagt Fries.
Authentizität und hohe Schauspielkunst – beides auf einer analytisch klarsichtigen Textdurchdringung fußend – verschmolzen in Christian Fries’ Darbietung zu einem künstlerisch hochwertigen Amalgam. Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus.