In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat auf der Erde ein Massensterben der Arten begonnen, das es in diesem Tempo noch nie gegeben hat. „Wir sprechen mittlerweile von einer Entleerung der Tierwelt“, sagt Professor Dr. Matthias Glaubrecht, Evolutionsbiologe und Wissenschaftshistoriker, der online aus seinem Buch „Das Ende der Evolution“ vorgetragen hat.
Dabei gehört die Vernichtung von Arten - wenn auch in wesentlich kleinerem Ausmaß - zur Menschheitsgeschichte dazu. Vor zwei Millionen Jahren und dann noch einmal vor 300 000 Jahren hat Homo erectus seinen Siegeszug aus Afrika über die ganze Welt angetreten. Eine 20 Kilometer lange Wanderung pro Generation habe ausgereicht, um immer wieder neue Gegenden zu besiedeln, nach Nahrung zu suchen, Herden nachzustellen und zu jagen. „Immer dann, wenn der Mensch in einem neuen Kontinent aufgetaucht ist, ist damit das Aussterben der großen Landsäugetiere verbunden, mit Ausnahme Afrikas“, sagt Matthias Glaubrecht.
Die Verbesserung der Jagdwaffen habe dabei sicher ebenso eine Rolle gespielt wie die schiere Zahl an Menschen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts, so Glaubrecht, habe die Vernichtung der Arten jedoch ein atemberaubendes Tempo erreicht. Ein Viertel der Säugetiere sei bereits verloren oder kurz davor, auszusterben, dazu die Hälfte der Amphibien und ein Fünftel der Vogelarten. Und zwar nicht nur „Flagschiff-Tierarten“, wie Glaubrecht sie nennt, zum Beispiel Wale, Tiger, Eisbären oder Schneeleoparden. Tiger seien zur Kolonialzeit als Freizeitvergnügen gejagt worden, andere, wie Meerestiere, würden so massenhaft aus dem Meer gezogen, dass die Bestände keine Chance hätten, sich zu erholen. Aber viele Tierarten würden verschwinden, weil angesichts der explodierenden Weltbevölkerung kein Lebensraum mehr für sie da sei. „Bereits jetzt mit etwa acht Milliarden Menschen nutzen wir drei Viertel der Erde mit unserer Besiedlung, für Verkehrswege und die Lebensmittelproduktion“, sagt Glaubrecht. Wenn in den nächsten Jahrzehnten drei Milliarden Menschen hinzukämen, die dazu auch noch in großen Teilen in immer größer werdenden Megacitys wohnten, bedeute das einen enormen Druck auf die Landnutzung.
Dass das Aussterben der Arten doch nichts Neues sei, nicht menschengemacht und zur Evolution dazugehöre, dieses Vorurteil begegnet dem Wissenschaftler häufiger. „Man könnte ja sagen, ‚Pech gehabt‘, die Arten waren eben nicht angepasst und machen mit ihrem Aussterben Platz für andere“, sagt Glaubrecht. Und tatsächlich könne man in der Erdgeschichte fünf sogenannte Massensterbeereignisse beobachten, das letzte davon das Aussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren. Allerdings würden die Arten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert nicht auf natürliche Art und Weise sterben. „Wir lassen ihnen keine Zeit, sich anzupassen“, warnt Glaubrecht. Neue Arten entstünden auch nicht in dem Tempo, in dem die Menschen sie verdrängten. „Nach den Dinosauriern dauerte es 15 Millionen Jahre, bis die Säugetiere entstanden sind.“ Die Menschen vernichteten die Arten schneller als jedes Evolutionsereignis. „Deshalb haben wir es mit dem Ende der Evolution zu tun.“
Am Ende des Vortrags geht Glaubrecht auf die Frage ein, was getan werden kann, um das Tempo des Artensterbens wenigstens zu drosseln. Eine Antwort: Schutzgebiete schaffen. „Wir sollten bis 2030 30 Prozent der Erde unter Schutz stellen und bis Mitte des Jahrhunderts 50 Prozent“, sagt Glaubrecht. Dabei handle es sich um eine Art globales Sicherheitsnetz für den Planeten. Jeder könne zudem in seinem eigenen Garten anfangen, indem er keine „Gärten des Grauens“ mit lauter Pflasterflächen für Autos anlege, sondern sie natürlich gestalte.
Info Veranstalter des Online-Vortrags mit Professor Dr. Matthias Glaubrecht waren die Gemeinderatsfraktion der Linken, das Kirchheimer „Forum 2030“, die GEW, die BUND-Ortsgruppe und attac in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.