Kirchheim. Zuhören, einfach nur zuhören: Das ist eine Kunst, die immer mehr verloren geht. Die Fähigkeit, zuhören zu können, fehlt aber nicht nur denjenigen, die sich in immer schnellerem Rhythmus von digitaler Kommunikation bestimmen lassen. Sie fehlt auch denjenigen, die sich einmal richtig aussprechen wollen. Denn jeder, der sprechen will, braucht ein Gegenüber, das zuhört - und nicht nur eins, das zuhören kann, sondern auch eins, das zuhören will.
Genau das wollen die sechs Mitarbeiter der „Orte des Zuhörens“ in Kirchheim: Sie wollen bewusst zuhören, und sie wissen, dass sie da etwas ganz Wertvolles anbieten - freiwillig, kostenlos. „Wir verschenken Zeit“, sagte Dorothea Fausten. Ungefähr eine Stunde geschenkte Zeit hat das Team im Angebot. Immer zwei Zuhörer gleichzeitig sind bereit, sich Sorgen, Nöte und Ängste anzuhören.
„Aufmerksam zuhören ist uns wichtig, und dazu gehört dann auch das Nachfragen“, sagt Evelyn Rieforth. Alle „Zuhörer“ betonen aber, dass sie keine Beratungsstelle sind und auch keine Therapie anbieten. „Wir dürfen gar nicht therapieren“, stellt Ulrike Lüssem die Rechtslage dar.
Trotzdem hat das Gespräch für die Gäste fast immer einen vergleichbar reinigenden Effekt wie das „professionelle“ Gespräch in der Therapie oder in der Beichte. Bei den „Orten des Zuhörens“, die in der gesamten Diözese Rottenburg-Stuttgart angeboten werden, geht es dabei vor allem darum, die „Selbstreinigungskräfte“ anzuregen. Durch das Aussprechen der Sorgen kommen die Besucher oft schon von selbst darauf, dass und wie sich ihre Schwierigkeiten in den Griff kriegen lassen können.
Evelyn Rieforth erwähnt typische Sätze, mit denen sich die Gäste - von denen zwei Drittel weiblich sind - am Ende bedanken: „Jetzt bin ich erleichtert“, „Jetzt sehe ich klarer“, „Gott sei Dank hatte ich den Mut, dass ich herkommen konnte“ oder auch „Danke, dass Sie zugehört haben“.
Die Gesprächsthemen sind ein Spiegel der Gesellschaft. Es gibt nichts, was sich nicht thematisieren ließe - von Jung und Alt, von Arm und Reich, von Mann und Frau. Auch Paare oder Familien können sich zum Gespräch anmelden. Einen Termin gibt es so schnell wie möglich - nicht erst Wochen später. Andreas Volz