Clevere Marketingstrategen haben das Potenzial der Generation 60+ schon lange entdeckt. Wie sieht die Zukunft einer immer älter werdenden Gesellschaft aus? Darüber sprach online Andreas Kenner, Abgeordneter der SPD und Mitglied des Landtags, Gemeinderat, Stadtführer, aktiv in zahlreichen Ausschüssen und Verbänden, mit Rainer Arnold, SPD, früheres Mitglied im Bundestag, Roland Sing, ehemaliger Vorsitzender des Sozialverbands VdK und der AOK Baden-Württemberg, und Prof. Dr. Bähr, Vorsitzender des Landesseniorenrates.
Andreas Kenner ist selbst das beste Beispiel. Mit seinen 64 Jahren steht er aktiv im Leben und tritt erneut im März zur Wiederwahl in den Landtag an. „80 ist das neue 60“, gemessen an den Aktivitäten der „jungen Alten“ sei das durchaus angebracht, finden die Gesprächspartner. Nach dem Renteneintritt legten viele Senioren erst richtig los und verwirklichten sich mit Engagement und Kreativität im Ehrenamt. Für die Gesellschaft ist das Ehrenamt ein doppelter Gewinn. „Was würden all die Vereine und Parteien machen ohne ihre Menschen ab 60, die Plakate kleben, Flyer verteilen und überall eine helfende Hand anbieten?“, fragt Kenner. Die Bereitschaft zum Ehrenamt ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, besonders in Baden- Württemberg. Hier handelt es sich um die klassische Win-win- Situation. Kenner sieht im Ehrenamt die „sozial- und generationsübergreifende Klammer“, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert und den Ehrenamtlern geistige und körperliche Gesundheit verspricht. Dabei haben die Senioren viel zu bieten. Sie bringen Erfahrung ein und zeigten bei Corona oder in der Flüchtlingspolitik von 2015, dass sie zu vielen Themen etwas zu sagen haben. Sie setzten Impulse, doch in der Politik mangelt es an deren Umsetzung. Roland Sing sieht ein eindeutiges „Desinteresse der Landesregierung“. Als 2015 die Flüchtlingskrise angegangen wurde, „hatte die Landesregierung nicht einmal daran gedacht, die Potenziale in den Verbänden abzurufen“. Vielleicht liegt es an einem falschen Bild vom „Alter“, das die Medien vermitteln, vermutet Rainer Arnold. „Der alte Mensch, der ein klassisches Bild von Fürsorge abliefert, konservativ und manche sogar radikal.“ Die positiv besetzten Vorbilder fehlten in den Medien. „Der Senior von heute wünscht sich Teilhabe, weil er mobil und fit ist und weil er den Hörgenuss im Konzert live erleben möchte“, sagt Rainer Arnold. „Da ist die Politik gefragt, da müssen die Rahmenbedingungen stimmen“. Dazu gehöre nicht nur Barrierefreiheit in Bahnen und Bussen, sondern auch die Sicherheit. Kenner höre oft, dass mehr Leute den öffentlichen Nahverkehr nutzen würden, sich aber nachts in der leeren S- Bahn nicht sicher fühlten. Auch Ticketautomaten, deren Technik man nicht kapiere, seien geradezu seniorenfeindlich. Nachvollziehbar sei das alles nicht, habe doch die Generation 60+ schon rein zahlenmäßig Durchsetzungskraft. „Politik muss sich da bewegen“.
„Die Arbeit der Senioren wird nicht ernst genommen“, findet Sing. Ortsseniorenräte gebe es höchstens in zehn Prozent der Kommunen, und er kenne Bürgermeister auf den Fildern, die sagten, dass sie das nicht brauchten. Doch allein 150 Projekte wurden durch die Senioren in Leinfelden-Echterdingen umgesetzt. „Da muss ein Umdenken stattfinden, denn der Schlüssel für eine immer älter werdende Gesellschaft liegt auf kommunaler Ebene“. Dazu gehöre eine vernünftige Städteplanung mit gemischten Quartieren, in denen sich Alt und Jung ergänzten und damit der Vereinsamung, dem Problem moderner Gesellschaften, entgegengewirkt werde. Als gelernter Altenpfleger weiß Andreas Kenner, wovon er redet. Mit dem Projekt „Wir Rauner“ sei ein Ort der Begegnung geschaffen worden, der den Menschen „guttue“. „Letztlich müssen wir uns alle fragen, was wir für eine Gesellschaft haben wollen.“ Wie sieht die Gesellschaft von morgen aus, in der Vielfalt und Diversität ihren Platz hat? „Viele Einzelne müssen begreifen, dass es auf sie ankommt, solidarisch zu denken und den Zusammenhalt zu stärken“, fasst Rainer Arnold zusammen.