Kirchheim
Mit Andreas Kenner gehtes rollend durch die Stadt

Teilhabe Andreas Kenner und Anne-Katrin Stuth von der Sanwald-Stiftung machen es möglich, dass Senioren trotz eingeschränkter Mobilität einen vergnüglichen Nachmittag in Kirchheims Innenstadt verbringen. Von Andreas Volz

Wenn Andreas Kenner durch Kirchheim führt, folgen ihm die Leute gerne – weil er das Lehrreiche immer auch mit dem Unterhaltsamen verbindet. Die Lacher hat er stets auf seiner Seite. Notfalls geht das auch ohne die Stadt: Anne-Katrin Stuth, die Leiterin des Besuchsdiensts der Sanwald-Stiftung, berichtet davon, wie sie gemeinsam mit Andreas Kenner während der Corona-Zeit die „Stadtführung im Sitzen“ entwickelt hat. Es war ganz ähnlich wie bei den Konzerten im Freien, vor den Pflegeeinrichtungen: Der SPD-Politiker kam in die Heime und führte die Bewohner gedanklich durch die Stadt. Für seine his­torischen Anekdötchen braucht er schließlich nur eine gedankliche Verknüpfung und kein reelles Gemäuer.

 

Fachwerkhäuser in städtischem Besitz, das ist ganz ehrlich ein teurer Spaß.
Andreas Kenner
sieht nicht nur den touristischen Reiz, sondern auch den Kostenfaktor.
 

Weil es aber für die Gäste einer Stadtführung noch einmal etwas ganz anderes ist, wenn sie wirklich in der Innenstadt unterwegs sind, ist daraus die Idee entstanden, eine „echte“ Führung für die Senioren zu veranstalten – sei es im Rollstuhl oder mit dem Rollator. Ein Kinderwagen war auch dabei. Der diente aber nur als fahrbarer Untersatz für den Lautsprecher, über den Andreas Kenners Worte auch wirklich alle Teilnehmer erreichen konnten.

Ob er nun von Herzog Carl Eugen berichtete, von dem bis heute alle Rothaarigen in der Region rund um Stuttgart abstammen sollen, von Herzogin Henriette – der Ururururgroßmutter des heutigen englischen Königs – oder von den Turmbläsern, die vor bald 500 Jahren erstmals erwähnt wurden: Die Bewohner von St. Hedwig und vom Pflegezentrum Kirchheim ließen sich’s gefallen. Zustimmend nickten sie, wenn Andreas Kenner aus der guten alten Zeit berichtete, als es ein Eis für zehn Pfennig gab oder eine Tasse Kaffee bei Eduscho für 25 Pfennig: „Damals war es dort auch noch so verraucht, dass man von draußen durch die Scheiben nicht erkennen konnte, wer sich gerade drinnen aufhält.“

Die Sparsamkeit der Kirchheimer illustriert Andreas Kenner immer gerne am Beispiel des Besuchs illustrer Persönlichkeiten in Kirchheim: „Für Zarin Alexandra hat man abends die ganze Stadt illuminiert – mit Riethmüller-Lampions. Bei König Georg V. von Hannover blieb Kirchheim aber verdunkelt. Georg war blind und hätte die bunten Lichter sowieso nicht gesehen.“

Wenig geeignetes Pflaster

Trotz aller Späße ging es zumindest auf dem Schlossplatz einmal ernst zu. Schon als die Gruppe vom Wachthaus her auf den Platz zusteuerte, hieß es von den Begleitpersonen: „Jetzt wird’s schwierig“ oder „Glei hoppelt’s a bissle“. Auch darauf ging der Stadtführer ein und erläuterte, dass wenigs­tens der schmale Streifen entlang der Schlossgrabenmauer einen anderen Belag habe, der den Platz für Menschen mit Rollstuhl oder Rollator befahrbar mache.

Anne-Katrin Stuth zufolge ging es bei der ersten Rollstuhl-Stadtführung mit Andreas Kenner auch darum, den Menschen in den beiden Pflegeeinrichtungen eine Möglichkeit zur Teilhabe zu bieten – die Gelegenheit, die Innenstadt einmal wieder mit eigenen Augen zu sehen. Für 20 Personen im Rollstuhl wurde das Wirklichkeit, in Begleitung von Pflegepersonal während der Freizeit, von Angehörigen oder von Ehrenamtlichen der Sanwald-Stiftung: „Wir haben zunächst einmal zwei Pflegeeinrichtungen ausgesucht, um zu schauen, ob das überhaupt funktioniert. Wir wollen das in Zukunft öfters anbieten und für alle Kirchheimer Heime öffnen.“

Funktioniert hat die Premiere bestens: Nach der 45-Minuten-Tour waren die Teilnehmer von Gastronom Robert Ruthenberg zu einer weiteren Teilhabe eingeladen – zu einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen auf dem Marktplatz. Nicht nur wegen der Einladung hatten sich die Organisatoren für das Restaurant „Holz und Feuer“ respektive „Waldhorn“ entschieden, sondern auch aus einem ganz praktischen Grund: Dort gibt es barrierefreie Toiletten. Fazit: Nicht alle Details einer Rollstuhl-Stadtführung sind so lustig wie die Geschichten, die Andreas Kenner erzählt.