Kirchheim
Nötiger als das Nötigste?

Gewässerschutz Gemeinderatsfraktionen protestieren bei der Verwaltungsspitze gegen das Ausmaß der Baumpflegearbeiten am Gießnaubach in der Bohnau. Von Andreas Volz

Wer „nur das Nötigste“ machen lassen will - sei es beim Zahnarzt oder in der Autowerkstatt -, hat ganz konkrete Vorstellungen davon, was dieses „Nötigste“ sein soll: am besten gar nichts. Die Bestätigung der Experten, dass alles in Ordnung ist, genügt vollauf. Was trotzdem gerade so noch gemacht werden kann, beschränkt sich, um im Bild zu bleiben, auf Zahnstein entfernen oder Wischwasser nachfüllen.

Immer wieder macht man dabei die Erfahrung, dass die andere Seite eine ganz andere Vorstellung von dem hat, was dringend nötig ist. Was dann tatsächlich gemacht wird, ist eine ganz andere Frage. Aber meistens fügen sich Patienten oder Kunden in ihr Schicksal und vertrauen dem Expertenrat, der stets mit ernsthaften Warnungen vor Folgeschäden einhergeht.

Ganz anders sieht das bei der Kirchheimer Baum-, Gehölz- und Gewässerpflege aus. Da gibt es Experten, die vorschlagen, eine Schneise von rund 35 Metern entlang von Bächen zu schlagen. Große Bäume werden auf den Stock gesetzt und können wieder neu austreiben. Mehr Licht sorgt auch in der Umgebung der gefällten Bäume für neues Wachstum und neue Artenvielfalt - in kürzester Zeit. Das alles dient der Verkehrssicherheit, der besseren Struktur der Vegetation und der Beseitigung von Schäden durch Erosion.

Das zumindest sagen die Experten innerhalb der Stadtverwaltung, und sie werden durch eine „Zweitmeinung“ unterstützt: Dr. Roland Bauer von der Unteren Naturschutzbehörde beim Landratsamt Esslingen bescheinigt der Stadt Kirchheim schriftlich, nach dem „normalen, üblichen Vorgehen“ zu handeln, „das sowohl von der Wasserwirtschaft als auch vom Naturschutz empfohlen wird“. Weiter heißt es, direkt bezogen auf den Gießnaubach östlich der Einsteinstraße: „Diese Pflegemaßnahmen sind seit langem überfällig und werden von uns ausdrücklich begrüßt. Sie dienen dem langfristigen Erhalt der Biotopstrukturen.“

Nun gibt es aber noch „Patienten“ oder „Kunden“: Naturschutzverbände und Gemeinderatsmitglieder. Sie sind im konkreten Fall „entsetzt über die Abholzungsmaßnahmen an der Gießnau“, die kurz vor Weihnachten begonnen hatten. Drei Fraktionsvorsitzende - Sabine Bur am Orde-Käß (Grüne), Dr. Silvia Oberhauser (Frauenliste) und Dr. Christoph Miller (Freie Wähler) - haben deshalb zwischen den Jahren heftig bei der Verwaltungsspitze protestiert. Was an der Gießnau geschehen ist, sehen sie „als absolut unvereinbar mit der Stellungnahme der Verwaltung zu den Haushaltsanträgen“, in denen eine Aussetzung der Arbeiten gefordert war.

Statt der vereinbarten „notwendigen Maßnahmen zur Verkehrssicherung“ sehen sie an der Gießnau nun „eine riesige Menge an Schnittgut, das zum großen Teil gesundes Kernholz aufweist“. Der Wille des Gemeinderats - der nur dem Nötigsten zugestimmt hatte, um im Frühjahr gemeinsam mit allen Beteiligten ein tragfähiges Konzept zu entwickeln - kümmere offenbar niemanden.

Grünflächenamtsleiter Christoph Kerner verweist dagegen auf die Stockfäule: „Das sitzt viel weiter unten. Am Baumstumpf ist davon nichts zu sehen.“ Hinzu kommen Bäume, die vom Bachlauf unterspült sind und die deshalb so gefährlich sind wie morsche Bäume. Auch der Böschungsschutz sei eine wesentliche Aufgabe. Das Fällen von Bäumen entlaste die Böschung „um viele Tonnen Gewicht“. Christoph Kerner betont: „Wir arbeiten ja für die Natur. Wir begutachten jeden Baum einzeln und lassen zum Beispiel Bäume mit Spechthöhlen stehen.“

Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker nimmt ihren Mitarbeiter ausdrücklich in Schutz: „Er leistet richtig gute Arbeit, aus seinem fachlichen Wissen und seiner fachlichen Verantwortung heraus.“ Viele Bäume, die man eigentlich hätte fällen müssen, bleiben stehen - obwohl das aus wirtschaftlichen Gründen Unsinn sei.

Trotzdem bedauert sie das „Kommunikationsproblem“, das mit der Vorstellung vom „Nötigsten“ einhergeht: „Ich kann verstehen, dass das, was an der Gießnau gemacht wurde, als weitaus größer erscheint als das absolut Notwendige.“ Aus Expertensicht sei mehr notwendig gewesen als nur das Fällen von morschen Bäumen. Die Böschungsarbeiten gehören eben auch zur Verkehrssicherung. Und darauf komme es an: „Wo Menschen unterwegs sind, muss ich die Verkehrssicherung gewährleisten. Mitten in der Stadt kann sich kein Wald entwickeln.“