Kirchheim
Nahostkonflikt: Begegnungen machen Frieden möglich

Frieden Damit Vertrauen wachsen kann, müssen sich Menschen treffen und kennenlernen, sind der Israeli Rotem Levin und der Palästinenser Osama Iliwat überzeugt. Die Friedensaktivisten arbeiten daran. Von Peter Dietrich

Palästinenser kannte der in der Nähe von Tel Aviv geborene Rotem Levin nur aus den Medien. „Ich hatte keine persönlichen Kontakte.“ Wenn er früher bei einer Busfahrt Arabisch hörte und es nicht verstand, stieg er aus Angst vor Attentätern an der nächsten Haltestelle aus. Nun saß er auf Einladung der Friedensinitiative Kirchheim unter Teck im Alevitischen Kultur- und Gemeindezentrum neben dem Palästinenser Osama Iliwat – ganz ohne Angst, die beiden sind Freunde. Als Aktivisten der „Combatants for Peace“ arbeiten sie gemeinsam für Frieden und Versöhnung. Seit Monaten sind sie in Deutschland unterwegs, um ihre persönliche Geschichte zu erzählen – so auch in Kirchheim vor rund 70 gespannt lauschenden Zuhörern.

 

Wir sollten nicht weiter nach Schuldigen suchen, sondern nach Wegen, das Blutvergießen zu beenden.
Osama Iliwat, Aktivist der „Combatants for Peace“

 

Ein Besuch im ehemaligen Nazi-KZ in Polen war für Levin ein intensives Erlebnis: „Wir können uns auf niemanden verlassen, uns zu beschützen, wir müssen es selbst tun.“ Mit großer Motivation trat er in die israelische Armee ein. Er kam ins Westjordanland. Mitten in der Nacht war er mit einer Gruppe Soldaten in einem völlig ruhigen palästinensischen Dorf unterwegs. Trotzdem ließ der Kommandant eine Trainingsgranate – sie zerstört nichts, macht aber Krach – in einen Hof werfen. Als ein Kamerad das kritisierte, sagte der Kommandant: „Ihr müsst tun, was euch befohlen wird.“ Ein erstes Aha-Erlebnis. Seine drei Jahre als Soldat beschrieb Levin als „psychisch belastend“.

Seinen Erstkontakt mit leibhaftigen Palästinensern erlebte er erst in Deutschland, ein Freund hatte ihn zu einem Treffen eingeladen. „Ich war neugierig, warum sind die so gewalttätig?“ Dort hörte er zum ersten Mal von der Vertreibung der Palästinenser, der Nakba, zu Deutsch „Katastrophe“. „Das Wort war neu für mich – warum muss ich mit 23 Jahren nach Deutschland, um das zu erfahren?“ Als er zurück in Israel darüber sprechen wollte, stieß er auf Ablehnung. „Das war sehr schmerzhaft.“ Er suchte Kontakt zur Friedensbewegung, lernte Arabisch. „Nun konnte ich im Bus sitzenbleiben. Heute kann ich nachvollziehen, dass auch die Palästinenser ein kollektives Trauma haben.“ Gemeinsam mit Osama Iliwat kämpft er dafür, die Spaltung zu überwinden.

Gespräch mit Rotem Levin und Osama Iliwat, israelisch-palästinensische Aktivisten der Combatants for Peace, im Alevitischen Kultur- und Gemeindezentrum in Kirchheim, am Tisch (vorn vorne betrachtet, von links) Stefan Römer (Übersetzer), Rotem Levin, Osama Iliwat und Roland Mahle (Übersetzer). Foto: Peter Dietrich

Iliwats Großmutter musste ihr Land verlassen, sein Vater 1967 fliehen. Als zehnjähriger Junge musste er mit seiner Familie aus Jerusalem nach Jericho ziehen. Jeden Tag sah er von der Schule aus israelische Soldaten. „Sie haben uns gestoppt, kontrolliert, Angst gemacht. Wir waren wütend, warfen mit leeren Flaschen nach ihnen.“ Nach ein paar Monaten wurde – es galt Militärrecht – die Schule geschlossen. Wenn draußen das Militär auf Steinewerfer schoss, hörte er im Bett die Schüsse. „Nach Demos hat die Armee geklopft, alle ab 16 Jahren mussten die Straße säubern.“ Er wollte sich rächen, sammelte mit Freunden Geld für eine Spraydose für Graffiti, später Hemden zur Herstellung der verbotenen palästinensischen Flagge. „Wir wussten nicht, wie sie aussehen sollte, sie hing über Kopf.“ Mit 14 Jahren kam er deshalb trotzdem ins Gefängnis. Später wurde er Polizist. Er erlebte, wie Friedensabkommen nicht eingehalten wurden. „Es war alles nur Schein.“

In Bethlehem lud ihn ein Freund zu einem Treffen von Friedensaktivisten ein. „Ich hatte das Wort noch nie gehört und fragte mich, wie sehen die aus?“ Als er beim Treffen einen Juden mit Kippa sah, dachte er, er sei dort falsch. „Es gibt auch Juden, die an den Frieden glauben“, sagte ihm sein Freund. Erstaunt hörte Iliwat israelischen Soldaten zu, die das Handeln ihrer Regierung für illegal hielten und von den Palästinensern als Menschen sprachen. „Ich wollte mehr über diese Leute wissen.“ Um Kontakte aufzubauen, hat er inzwischen die Gruppe „Visit Palestine“ gegründet. Denn: "Das Hauptproblem ist, dass die Menschen sich nicht kennen und treffen.“

Ein Teufelskreis von Gewalt und Vergeltung

Wie sehr Gewalt neuen Hass gebiert, betonte Levin in der angeregten Diskussion: „Leute, die ihre Familien verlieren, radikalisieren sich. Es ist ein Teufelskreis von Gewalt und Vergeltung. Hamas ist populärer denn je.“ Was Hamas getan habe, sagte Iliwat, sei ein Verbrechen. „Aber es sollte nicht mit noch größeren Verbrechen beantwortet werden. Wir sollten nicht weiter nach Schuldigen suchen, sondern nach Wegen, das Blutvergießen zu beenden.“ Seine drei Neffen wurden angeschossen und verhaftet, berichtete er. „Trotzdem glaube ich noch an den Frieden.“ Frieden und Freiheit gebe es nur gemeinsam, unterstrich Levin: „Solange die Palästinenser nicht frei sind, werden Israelis nicht sicher sein. Solange Israelis nicht sicher sein können, werden Palästinenser nicht frei sein.“

 

Die Rolle Deutschlands

„Ich erwarte, dass sich Deutschland für eine Waffenruhe in Gaza einsetzt“, sagte Rotem Levin. Er schäme sich für Deutschland, sagte ein Zuhörer. „Ich finde es beschämend, dass durch meine Arbeit und meine Steuern deutsche Waffen geliefert werden, mit denen dort Menschen getötet werden.“ Ein weiterer Zuhörer schloss sich an: „Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Regierung das Töten von Menschen unterstützt.“

Ob eine Zweistaatenlösung noch realistisch sei, fragte ein Zuhörer, bei einer Landkarte wie ein Schweizer Käse? Sei nicht ein Zusammenleben in einem einzigen Staat, mit gleichen Rechten für alle, die bessere Perspektive? „Ich bin dafür“, sagte Levin. „Aber die meisten Israelis leben in ihrer Blase und kennen keine Palästinenser, so wie ich vor zehn Jahren. Erst die Reisen haben meine Einstellung verändert.“ Gefragt seien neue Ideen, wie Israelis und Palästinenser Vertrauen aufbauen könnten. An dieser Stelle ist wieder deutsche Unterstützung gefragt. Derzeit sind aus Deutschland geförderte Projekte, etwa für eine Friedensschule und für einen Kindergarten für Beduinen, eingefroren. pd