Wie geht es nach der Grundschule weiter: Gymnasium, Realschule, Gemeinschaftsschule oder Haupt- und Werkrealschule? Diese Frage stellten sich in diesem Schuljahr nach Angaben des Kultusministerium rund 85.000 Viertklässlerinnen und Viertklässlern. In den vergangenen Jahren konnten ihre Eltern diese Entscheidung alleine treffen, doch nun gibt es ein Comeback für die Grundschulempfehlung. Das bedeutet: Die Einschätzung der Grundschullehrerinnen und -lehrer bekommt wieder mehr
„In der aktuellen Form überhöht sie den Stand des Gymnasiums.
Stefanie Rau und Aline Theodoridis (GEB Kirchheim) zur neuen Grundschulempfehlung
Gewicht, ist aber nicht allein entscheidend, ergänzend gibt es einen „Kompass-4-Test“ (siehe Info).
Thorsten Bröckel, Rektor der Kirchheimer Alleenschule und Geschäftsführender Schulleiter in Kirchheim, sieht der Neuerung verhalten optimistisch entgegen: „Grundsätzlich finde ich die Reform des Übergangsverfahrens gut. Allerdings fokussiert es zu sehr auf das Gymnasium“, sagt er. Zwar wird den Schulen mit Kompass 4 ein aussagekräftiges Instrument für die Laufbahnentscheidung an die Hand gegeben, bindend bleibt das Ergebnis jedoch nur für das Gymnasium. „Kompass 4 wiederum wurde so stark aufgewertet, dass es beinahe Prüfungscharakter hat“, findet Bröckel. Hintergrund: Der Test wird landesweit an einem festgelegten Termin zu einer festgelegten Uhrzeit absolviert, die nicht zum Stundenplan passt und den Schulalltag durcheinanderbringt.
Dennoch findet Bröckel: „Es ist gut, dass es ein Instrument für die Schulen gibt, das das Urteil der Lehrkräfte über die Laufbahnentscheidung unterstützen kann, dieses wurde meiner Meinung nach aber etwas zu hoch aufgehängt.“ Außerdem findet der Rektor aus Kirchheim, dass die Werkrealschule geschwächt wurde, indem man den Werkrealschulabschluss nach Klasse 10 abgeschafft hat. „Das erhöht den Druck auf die Schularten Realschule und Gemeinschaftsschule. Die gute und qualitativ hochwertige Bildungsarbeit an der Werkrealschule gerät weiter unter Existenznot. Das Motiv kam meines Erachtens aus der starken Lobby der Gymnasien, verbunden mit der Sorge, dass diese Schulart durch die Einführung von G9 ‚überrannt‘ werden könnte“, sagt Bröckel, der Rektor einer Grund- und Werkrealschule ist. Dass die Situation an den Gymnasien etwas verbessert werden könnte, indem weniger Schüler mit der „falschen“ Empfehlung dort ankommen, sieht er durchaus. „Für die anderen Schularten jedoch sehe ich keinen Vorteil.“
Ein ähnlich differenziertes Bild zeichnen die beiden Kirchheimer Vorsitzenden des Gesamtelternbeirats (GEB), Stefanie Rau und Aline Theodoridis. „Wir vom GEB befürworten grundsätzlich die Wiedereinführung der verbindlichen Grundschulempfehlung – vor allem auch im Hinblick auf die Umstellung auf G9 ist es gut, dass diese schnell gekommen ist“, teilen die beiden in einer gemeinsamen Erklärung mit. Auch dass die Empfehlung aus drei Teilen – Elternwunsch, Schulempfehlung und Test – besteht, finden sie positiv.
Empfehlung sollte Hilfe sein
Das große Aber für die Eltern geht in dieselbe Richtung wie bei Thorsten Bröckel. „Es wird nur entschieden, ob ein Kind auf das Gymnasium darf oder nicht. Bekommt das Kind keine Gymnasialempfehlung, dürfen die Eltern frei entscheiden, ob es auf die Realschule, die Werkrealschule, künftig leider wieder Hauptschule, oder die Gemeinschaftsschule gehen wird. Jede dieser Schulform hat aber unterschiedliche Anforderungen an die Schüler/-innen“, schreiben sie.
Weiter heißt es: „Die Grundschulempfehlung sollte aus unserer Sicht nicht nur den Übertritt auf das Gymnasium regeln. Sie sollte vielmehr Hilfestellung sein, dass die Kinder die für sie richtige Schulart nach Klasse 4 wählen.“ Die Elternvertreterinnen glauben: „Gerade die Realschulen werden unter einer nicht differenzierenden Grundschulempfehlung leiden. Bedingt durch die Wiedereinführung von G9 werden sich Schüler/-innen knapp an der Untergrenze zur Gymnasialempfehlung vermutlich wieder eher für das Gymnasium entscheiden und dadurch werden leistungsstarke Schüler/-innen den Realschulen fehlen. Zum anderen werden weiterhin viele Schüler/-innen, für die das Konzept der Werkrealschulen besser wäre, zur Realschule wechseln, weil es hier keine verbindliche Empfehlung gibt.“
Ihre Forderung wäre eine verbindliche Grundschulempfehlung für jede Schulform. „Das könnte die Profile der einzelnen Schularten schärfen, indem die Schüler/-innen auf der für sie passenden Schulart sind. Keinem Kind ist mit einer Über- oder Unterforderung in der Schule geholfen, mit Frust und unnötigem Versagen sind erfolgreiche Schullaufbahnen schwierig.“
Die erweiterte Grundschulempfehlung: So funktioniert sie
Vorgeschichte: Mit der Rückkehr zu G9 bekommt die Grundschulempfehlung für die Gymnasien eine neue Verbindlichkeit. Dadurch soll vermieden werden, dass die Gymnasien überrannt werden. Statistiken belegen, dass mit der Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung vom Schuljahr 2011/12 auf 2012/13 ein deutlicher Anstieg der Übergänge auf Gymnasien (plus 3 Prozentpunkte) und Realschulen (plus 3 Prozentpunkte) und einen starken Rückgang der Übergänge auf Werkreal-/Hauptschulen (minus 8 Prozentpunkte) ergab. Zum Schuljahr 2023/24 wurde mit 43,6 Prozent das Gymnasium am häufigsten als weiterführende Schule gewählt.
Drei Elemente: Für die Entscheidung der Erziehungsberechtigten über den Bildungsweg nach der Grundschule gilt: die pädagogische Gesamtwürdigung durch die Klassenkonferenz auf Grundlage der in Klasse vier erreichten Noten sowie der Bewertung der überfachlichen Kompetenzen, eine Kompetenzmessung („Kompass 4)“, die das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg erarbeitet hat, sowie der Elternwille.
Voraussetzung für die Aufnahme einer Schülerin oder eines Schülers in das allgemeinbildende Gymnasium ist die Empfehlung als Ergebnis der pädagogischen Gesamtwürdigung auf Grundlage der in Klasse vier erreichten Noten (Durchschnitt Deutsch und Mathematik 2,5 und kein Fach schlechter als 3,0), die Teilnahme an einer Kompetenzmessung (Weiterentwicklung Kompass 4) zur Überprüfung der fachlichen und überfachlichen Kompetenz sowie die Entscheidung der Eltern für diese Schulart („Zwei-aus-drei-Regel“). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, gibt es noch die Möglichkeit eines Potenzialtests, der an einem Gymnasium durchgeführt wird. zap/pm