Romanbiografie
Neues Buch über die erste Frau Deutschlands mit einem Professorentitel

Statt Haushalt und Kinder wollte Maria von Linden lieber die Welt erforschen. Sie war die erste Abiturientin Württembergs. Die Kirchheimer Autorin Rebecca Michele hat ihr ein Buch gewidmet. 

Rebecca Michele mit ihrem neuen Roman über die deutsche Wissenschaftlerin der erste Stunde: Maria von Linden. Sie forschte nicht nur über Schmetterlinge sondern auch Krebszellen. Foto: Jörg Bächle

Maria von Linden – wer? „Sie war eine Virologin und Bakteriologin, die erste Frau, die an einem württembergischen Gymnasium ihr Abitur ablgeegt hat, die erste Studentin in Tübingen und die erste Frau, die im deutschen Kaiserreich den Titel Frau Professor an der Universität Bonn erhallten hat“, sprudelt es aus Rebecca Michele nur so heraus. Die Kirchheimer Autorin hat eine Romanbiografie über diese außergewöhnliche Frau geschrieben. Das Buch „Die Farben der Schmetterlinge“ ist soeben erschienen.

Über drei Monate hat Rebecca Michele recherchiert und sich mit der am 18. Juli 1869 in Schloss Burgberg bei Giengen an der Brenz geborenen Gräfin intensiv auseinandergesetzt. Gerade noch rechtzeitig konnte die das letzte Exemplar ihrer Autobiografie ergattern, ihre wichtigste Quelle. Auch in der Landesbibliothek in Stuttgart wurde sie fündig, denn im Internet sind die Informationen über die Frau, die ihrer Zeit in vieler Hinsicht weit voraus war, spärlich.

 

Sie war die Dame mit dem Hut, die in Herrenanzüge gekleidet war.

Autorin Rebecca Michele über Maria Gräfin von Linden

 

Wikipedia führt sie als deutsche Zoologin und Parasitologin auf. „Seit ihrer Kindheit hat sie sich für Steine interessiert und eine Sammlung angelegt. In der Nähe ihres Familienschlosses Burgberg entspringt die Hürbe, wo sie fündig wurde. Sie interessierte sich definitiv mehr für die Natur als für Handarbeiten“, erzählt Rebecca Michele.

Es war ein steiniger Weg für Maria Gräfin von Linden, den sie beharrlich verfolgte, unterstützt von ihrer Mutter. Gegen den Willen des Vaters setzte sie ihre wissenschaftliche Laufbahn durch. Die Land­adelige sollte wie für die höheren Töchter damals üblich, eine standesgemäße Heirat anstreben und Kinder bekommen. Ih­re hö­he­re Schul­bil­dung er­hielt sie in einem privaten Pen­sio­nat, Abitur konnte sie dort jedoch keines ablegen. Zunächst war kein Gymnasium bereit, sie aufzunehmen. „Ihr Onkel, Jo­seph von Lin­den, der zum engeren Kreis von König Willhelm  II. gehörte, unterstützte sie“, sagt Rebecca Michele. Ihm ge­lang es, für seine Nichte die Zu­las­sung zur Ab­itur­prü­fung 1891 als Ex­ter­ne durchzusetzen.

Die Mensa war tabu

„Maria von Linden waren viele Türen verschlossen. Das Abitur wurde noch toleriert, aber als sie auch noch studieren wollte, war das dann doch zuviel“, erzählt Rebecca Michele. Auch hier unterstützte der Onkel sie wieder. Mit ei­ner Son­der­er­laub­nis konnte sie das Win­ter­se­mes­ter 1892/1893 für das Stu­di­um beginnen. Zoo­lo­gie, Mi­ne­ra­lo­gie, Phy­sik und Ma­the­ma­tik waren ihre Fächer in Tü­bin­gen. „Es gab dort keine Toiletten für Frauen, sie durfte die Waschräume nicht betreten. Auch die Mensa war nur für Männer. Sie hat deshalb extrem wenig gegessen und getrunken, damit sie nicht auf die Toilette musste“, erzählt die Autorin. 

„Professor Theodor Eimer, ein Zoologe, hat sie gefördert. Er ist viel gereist, auch nach Costa Rica, sein Steckenpferd waren Schmetterlinge“, sagt die Autorin. So entwickelte Maria von Linden ihr Hauptinteresse an Insekten. Als ers­te Frau Deutsch­lands wurde sie zum Dok­tor der Na­tur­wis­sen­schaf­ten pro­mo­viert. Im Jahr 1900 erhielt sie einen Preis für ih­re Ar­beit „Die Far­ben der Schmet­ter­lin­ge und ih­re Ur­sa­chen“.

Im Jahr 1899 wechselte sie an die Uni­ver­si­tät Bonn. „Dort hat sie die an­ti­sep­ti­sche Wir­kung von Kup­fer erkannt. In bestimmter Zusammensetzung verhindert es Wundbrand. Mit der Fir­ma Hart­mann in Hei­den­heim ent­wi­ckel­te sie ein Pa­tent für ei­nen Ver­bands­stoff, der keim­tö­tend wirk­t, und den die Firma heute noch herstellt“, erzählt Rebecca Michele. Auch an Krebszellen hat sie geforscht. Im Jahr 1910 bekam die Gräfin den Professorentitel verliehen – aber keine Lehrerlaubnis. „Das konnte nicht sein, dass eine Frau junge Männer unterrichtet. Das hat sie gewurmt, denn sie wollte immer gerne unterrichten“, fand die Autorin heraus.

Eine Fast-Kirchheimerin

Eine kleine Spur führt auch nach Kirchheim. Ihr Vater wollte Maria von Linden im Alter von 22 Jahren, als sie ihr Abitur in der Tasche hatte, mit einem Cousin mütterlicherseits – ihre Mutter Eugenie war eine geborene Freiin Hiller von Gärtringen – verheiraten. Dieser Cousin sollte ans damalige Ulanen-Regiment nach Kirchheim versetzt werden. „Mit diesem angestrebten Posten hätte er genug Geld verdient, um einen Hausstand gründen zu können“, recherchierte die Rebecca Michele. Weil sie sich geweigert hat, ihn zu heiraten, kam es zu einem dauerhaften Bruch mit ihrem Onkel und dem Cousin.

„Maria von Linden hat sich nie als Hausfrau und Mutter gesehen. In ihrer Autobiografie erwähnt sie, dass Gott bei ihr wohl einen Fehler gemacht habe, indem er sie als Mädchen hat zur Welt kommen lassen. Es gibt eine weitere Aussage: ,Warum gibt es nur Männer und Frauen auf der Welt? Warum gibt es nicht etwas dazwischen?’ Das war in dieser Zeit Blasphemie und sie hat immer wieder deswegen Ärger bekommen.“ Auch in die Ideologie der Nationalsozialisten passte sie als selbstbewusste Wissenschaftlerin nicht, zumal sie sich bereits seit dem Hitler-Putsch 1923 offen gegen diese polisitsche Strömung ausgesprochen hat. Sie wurde in den vorzeitigen Ruhestand versetzt und emigrierte nach Liechtenstein. Dort starb sie im August 1936 im Alter von 66 Jahren an einer Lungenentzündung.

Info
Die Romanbiografie von Rebecca Michele über Maria von Linden ist unter dem Titel „Die Farben der Schmetterlinge“ bei dtv erschienen. Das Taschenbuch hat 397 Seiten, kostet 13 Euro und ist im Buchhandel erhältlich.

 

Eine vielseitige Autorin mit großer Leidenschaft fürs Tanzen

„Die Recherche hat riesigen Spaß gemacht. Ich bin in eine völlig andere Welt eingetaucht“, sagt Rebecca Michele. Der dtv-Verlag hat sie auf die Spur der Wissenschaftlerin gesetzt.

In Corona-Zeiten war im Magazin Stern ein Artikel über die Virologin erschienen, darin stand auch ihr Geburtsort. „Das ist doch in Ihrer der Gegend“, meinte die Verlagsagentin. „Ich habe den Namen nicht gekannt und musste erst mal schauen, ob das Leben dieser Frau genügend Stoff für eine Romanbiografie hat“, sagt die Autorin. Schnell war klar: eindeutig ja. „Ich finde, Maria von Linden hätte wie Marie Curie den Nobelpreis verdient. Aber das war noch zu früh für eine Frau. Marie Curie hat ihren ersten Nobelpreis ja mit ihrem Mann bekommen“, zeigt sie die Schwierigkeiten auf, mit denen die wenigen Wissenschaftlerinnen damals zu kämpfen hatten.

Rebecca Michele kennen viele als erfolgreiche Turniertänzerin. Mit ihrem Mann Uwe ist sie se​​​​​​​it vielen Jahr​​​​​​​en Tra​​​​​​​in​​​​​​​erin be​​​​​​​im ​​​​​​​1. Tanz-Sport-Klub​​​​​​​ Kirchheim.​​​​​​​ Lange Ze​​​​​​​it war sie ​​​​​​​auch im ​​​​​​​Tiersch​​​​​​​utz aktiv. Ihr H​​​​​​​erz schläg​​​​​​​t für K​​​​​​​atzen​​​​​​​ – ​​​​​​​was sich i​​​​​​​n dem ein​​​​​​​ oder​​​​​​​ ande​​​​​​​rem (K​​​​​​​rimi​​​​​​​-​​​​​​​)​​​​​​​Buch ​​​​​​​​​​​​​​erkennen​​​​​​​ läss​​​​​​​t. Ebenso ihre Liebe zu den Britischen Inseln, insbesondere Cornwall. Dort war sie auch schon als Reiseleiterin tätig.

Rebecca Michele und ihr Mann Uwe sind begeisterte Tänzer. Foto: pr

Bereits 53 Veröffentlichungen stammen aus ihrer Feder in unterschiedlichen Genres. Ihr Arbeitspensum hat es in sich. Innerhalb kurzer Zeit sind außer „Die Farben der Schmetterlinge“ die ersten zwei Bände der Miss Emily-Krimis erschienen, die in Cornwall spielen. Zudem der Krimi „Das Geheimnis des blauen Skarabäus“. Darin kann man in die Welt der Archäologen in Ägypten um 1920 eintauchen.

Im April erscheint „Die Steinmetzin“, ein Roman, der in Wales um das Jahr 1300 spiel​​​​​​​t.​​​​​​​​​​​​​​ Selbstredend, dass sie gerade an einem neuen Werk sitzt. Sie schreibt am dritten Band mit Miss Emily und ist für ein weiteres Projekte mit einem Verlag im Gespräch. ih