Es ist eigentlich die normalste Sache der Welt: Jugendliche sind gemeinsam auf Tour oder hängen miteinander ab. Für Teenager ab 15, die sich von den Eltern lösen, sind Gleichaltrige die wichtigsten Bezugspersonen. Dass ihnen diese Erfahrung während der Corona-Lockdowns verwehrt war, hat teilweise Spuren in der Psyche hinterlassen. Mit dem Projekt „Gemeinsam stark“ versucht die Kirchheimer Stiftung Tragwerk, das Verpasste wenigstens teilweise nachzuholen.
„Während Corona hat sehr viel Vereinsamung stattgefunden“, sagt Jürgen Knodel, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Tragwerk. Und auf die Pandemie folgten weitere Krisen, die Zukunftsängste verursachen. Das ist durch Studien belegt, so würden speziell bei Jugendlichen „massive Zuwächse“ bei drei psychischen Störungen festgestellt, sagt Werner Baur, der Schulleiter der zur Stiftung Tragwerk gehörenden Janusz-Korczak-Schule: insbesondere Essstörungen, Angststörungen und Depressionen hätten zugenommen. Das betreffe besonders die Gruppe derjenigen, die während der Coronazeit 15 bis 17 Jahre alt waren.
Baur und sein Kollegium erleben diese Folgen auch in ihrer täglichen Arbeit, zum Beispiel in Form von „schulvermeidendem Verhalten“, was nicht mit Schuleschwänzen gleichzusetzen ist. Oft sind es lange, krankheitsbedingte Fehlzeiten, hinter denen sich Ängste verbergen können – nicht unbedingt vor den Leistungsanforderungen in der Schule, sondern vor den sozialen Kontakten. Junge Menschen, „die sich nicht mehr raustrauen“, die fürchten, sich falsch oder peinlich zu benehmen, „die haben wir viel mehr als vor Corona“, sagt Baur. Das ist auch in den Wohngruppen der Stiftung Tragwerk zu beobachten, deren Jugendliche, so Knodel, oft nicht den Weg zu den bestehenden Angeboten in Vereinen oder Institutionen fänden. Sie bräuchten manchmal einfach „einen kleinen Schubser“, um sich in eine Situation hineinzuwagen, die für andere ganz normal sei, erklärt Werner Baur.
Das Projekt „Gemeinsam stark durch Sport, Kunst und Abenteuer“, das im Herbst 2023 begonnen hat, soll für diesen „Schubser“ sorgen. Es richtet sich speziell an Jugendliche, die von der Stiftung Tragwerk betreut werden, und deren Freunde, und beinhaltet unter anderem eine Musikwerkstatt, eine Malwerkstatt, Fußball, Selbstverteidigung, Zeit mit Pferden, Bouldern, ein Hüttenwochenende, Kochangebote oder einen Graffitiworkshop.
Auch mal was wagen
Teilweise kommen die Jugendlichen von selbst, teils werden sie von ihren Betreuern aufmerksam gemacht und ermutigt. Luis Cordeiro dos Santos, der „gemeinsam stark“ koordiniert, erzählt von zwei Jungs, die sich zum Graffiti-Projekt angemeldet hatten und dann einen Rückzieher machen wollten: die Anfahrt sei zu kompliziert, und überhaupt. Sie wurden schließlich abgeholt, erlebten einen schönen Vormittag und kamen am zweiten Tag selbstständig.
Gemeinsame Erlebnisse mit Gleichaltrigen zu haben, auch mal an die eigenen Grenzen zu gehen, etwas Schwieriges zu schaffen und Anerkennung zu bekommen – das seien prägende Erfahrungen für Jugendliche, sagt dos Santos. Besonders, wenn sie mit Spaß verbunden sind: „Der Spaßfaktor ist enorm wichtig. Wer Spaß hat, lernt.“
Das Ziel ist, die Jugendlichen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie in einer Gruppe einen Platz haben. Die Stiftung Tragwerk kooperiert bei den Angeboten mit lokalen Vereinen und freut sich, wenn der eine oder andere Jugendliche vielleicht auch noch einen Schritt weitergeht. „Der Gedanke ist schon, dass man vielleicht auch Kinder und Jugendliche in Regelangebote vermitteln kann“, sagt Jürgen Knodel.
Weitere Informationen gibt es online unter: www.stiftung-tragwerk.de