Kirchheim
Nicht jeder grüne Baum ist auch gesund

Gehölzpflege Die Stadt Kirchheim lässt den Winter über an zehn verschiedenen Stellen Bäume an Bachläufen zurückschneiden oder gar fällen. Von Andreas Volz

Der demografische Wandel betrifft in Kirchheim nicht nur die Einwohner, sondern auch die Bäume. Allerdings lässt sich in der Natur aktiver gegensteuern: Seit 2013 bemüht sich die Stadt um eine systematische Verjüngung der Gehölze, auch wenn das häufig zu Missverständnissen führt. Wenn nämlich große alte Bäume entlang von Bachläufen gefällt werden, handelt es sich nur auf den ersten Blick um einen radikalen Kahlschlag. Langfristig geht es hier um eine Verjüngungskur, die sich auch auf die Artenvielfalt auswirkt. Es wachsen also ganz unterschiedliche Bäume nach. Manche Arten würden selbst Experten nicht dort erwarten, wo sie plötzlich aus dem Boden zu sprießen beginnen.

In vielen ausführlichen Gesprächen mit Verbänden und Organisationen zur Baumpflege habe die Stadt zu hören bekommen: „Wir brauchen mehr Verständnis für das, was ihr tut. Sagt‘s uns doch.“ Genau deswegen hatte Bürgermeister Günter Riemer nun zu einem Pressegespräch geladen, um die Baumarbeiten, die jetzt im Winter im Stadtgebiet anstehen, detailliert vorzustellen.

Über Jahrzehnte hinweg sei in Kirchheim nicht viel geschehen, was die systematische Pflege von Bäumen an Gewässern betrifft. „Man hat sie einfach wachsen lassen, und dabei sind sie ordentlich in die Höhe gegangen“, sagt der Bürgermeister. Dadurch ergibt sich jetzt ein Problem mit der Verkehrssicherheit.

Martin Müller, der Sachverständige, dessen Büro sich im Auftrag der Stadt um die Kirchheimer Bäume kümmert, führt ein drastisches Beispiel zur Verkehrssicherheit auf: „Wenn da ein Stamm mit 30 Zentimetern Durchmesser auf den Weg kippt und einen Schüler trifft, dann fragt man sich natürlich, wer dafür verantwortlich ist.“

Trotzdem will die Stadt „nicht nur reparieren, sondern auch dauerhaft pflegen“, wie Günter Riemer hinzufügt. Angesichts von mehr als 50 Kilometern Uferlänge mit Vegetation auf Kirchheimer Gemarkung ist das eine Daueraufgabe. Forstingenieur Andreas Christoph von Martin Müllers Büro geht diese Uferstreifen regelmäßig ab, um festzustellen, wo Gefahr im Verzug ist, aber auch, wo die nächsten Pflegearbeiten dringend geboten sind.

Den größten Handlungsbedarf hatte er 2014 am Schlossgymnasium und am Freibad gesehen. Aktuell setzt er die oberste Priorität an der Gießnau auf Höhe der Einsteinstraße an. Dort sollen die Arbeiten jetzt im November beginnen. Martin Müller betont aber, dass die Eingriffe in der Bohnau „deutlich unterhalb dessen bleiben, was Landratsamt oder Regierungspräsidium zulassen würden“.

Trotz aller Expertise gibt es immer wieder die Schwierigkeit, dass die Baumarbeiten auf Unverständnis stoßen. Ein Beispiel dafür könnte die Straße in Richtung Bürgerseen werden. Auch dort stehen diesen Winter noch Arbeiten an - rechts an der Straße, gleich nach der Abzweigung Richtung Lindorf. Andreas Christoph: „Da gibt es viele Bäume, die faul sind und die auch noch in Richtung Bundesstraße hängen.“ Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ein dicker Stamm auf die Straße fällt und jemand dort vielleicht noch ein bisschen schneller unterwegs ist als erlaubt.

Den Handlungsbedarf sieht man aber von außen nicht, weil alles den ganzen Sommer über schön grün war und einen ausgesprochen vitalen Eindruck macht. „Aber auch wenn etwas grün aussieht, heißt das noch lange nicht, dass es gesund ist“, sagt Andreas Christoph. So ähnlich sieht das auch Kirchheims neuer Grünflächenamtsleiter Christoph Kerner: „Wenn die Leute sagen, dass ein Baum doch noch grün war, dann liegt das daran, dass wir lange vor dem Fällen schon die abgestorbenen Äste entfernt hatten.“

Martin Müller verweist zudem auf die Statistik: „93 Prozent der Bäume, die umfallen und Unfälle verursachen, sind grün - weil Laub Masse bringt und dem Wind einen ganz anderen Widerstand bietet.“

Noch auf eine ganz andere Gefahr verweisen die Experten: die Gefahr, die von Schwemmholz ausgeht. Bei großen Regenfällen schwillt ein Bach an und reißt das Schwemmholz bis zur nächsten Brücke mit. Dort staut sich das Wasser auf und überflutet das angrenzende Wohngebiet. Martin Müller: „Alle lieben die wilde Natur. Aber bei einer Überflutung änder sich diese Haltung schnell.“