Wie ticken die Jugendlichen? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Heidelberger Sinus-Institut. Alle vier Jahre bringt es dazu eine Studie heraus. Peter Martin Thomas, der Leiter der Sinus-Akademie, hat die wichtigsten Ergebnisse von 2016 nun in der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule vorgestellt. Die bedeutendste Erkenntnis: „Die“ Jugend gibt es überhaupt nicht. Es gibt ganz viele unterschiedliche Milieus, die sich durchaus auch überlappen.
Vor allem unterscheiden sich die Jugendlichen von ihren Eltern dadurch, dass sie sich nicht mehr unbedingt von ihnen unterscheiden wollen. Beispiel gefällig? Für eine Modekette machen Prominente mit ihren Kindern Werbung. Der Gag an der Geschichte: Sie tragen dieselben Klamotten. Peter Martin Thomas: „Das wäre mir früher nie passiert, dass ich dasselbe tragen will wie mein Vater.“
Wegen solcher Verhaltensmuster hatte die Sinus-Studie 2016 zu Schlagzeilen geführt wie „Teenager auf Kuschelkurs“, „Streber statt Rebellen?“ oder „Mainstream ist in“. Andererseits aber muss die Ähnlichkeit zwischen Eltern und Kindern nicht unbedingt an den Jüngeren liegen. Mitunter ist es genau umgekehrt: „Wenn Eltern auf die gleichen Konzerte gehen und dann auch noch vom Kind einen Joint haben wollen, weil sie ihren eigenen vergessen haben, wird es ziemlich schwierig für die Kinder, selbst erwachsen zu werden.“
Was bleibt den Kindern übrig, wenn sie mal etwas ohne ihre Eltern machen wollen? Die virtuelle Welt. „Eine der wenigen Möglichkeiten, die Eltern loszuwerden, gibt es im Internet.“ An dieser Stelle ticken Jugendliche wirklich einmal ganz anders: „Wir Älteren glauben, man vereinsamt im Internet. Jugendliche sehen das genau umgekehrt: Du vereinsamst, wenn du NICHT im Netz unterwegs bist.“
Und doch gibt es das völlig ge- genteilige Denken. 14- bis 17-Jährige, die selbst viele Stunden am Tag online sind, sagen Sätze, die man kaum jemandem zutrauen würde, der nicht mindestens 50 Jahre alt ist: „Meine Kinder sollen einmal viel mehr Zeit im Freien verbringen und wieder richtig spielen.“
Peter Martin Thomas sieht da schon „erste Anzeichen einer digitalen Sättigung“. Jugendliche sind mit allen Geräten ausgestattet, die sie so brauchen, und sie haben auch genug an sozialen Netzwerken: „Digitale Kompetenz heißt jetzt, dass ich auch in der Lage sein muss, selbstbestimmt offline zu gehen.“ Das ist nicht leicht, man muss es ganz neu lernen.
Aber an manchen Stellen hat das zumindest eine der unterschiedlichen Milieugruppen schon verwirklicht: die Expeditiven, die das Leben als eine große Abenteuerreise verstehen. Sie wollen zwar richtig viel Geld verdienen, aber nicht die große Karriere machen. Klingt unvereinbar? Ist es aber nicht. Das große Geld wollen sie eher in Projektarbeit verdienen, auch weil sie ständig Neues erleben wollen. Sie lieben das Risiko, sich auf Neues einzulassen. Auf keinen Fall wollen sie jeden Tag dasselbe machen. Und deshalb kommt es für sie auch nicht in Frage, sich 20 Jahre lang in irgendwelchen Hierarchien hochzudienen. Lieber schnell weiter zum nächsten spannenden Projekt.
Natürlich brauchen auch diese Expeditiven die digitale Welt. Sie fühlen sich aber auch so auf der ganzen Welt zuhause: „Sie lesen Bücher, aber lieber auf Englisch, Französisch oder Spanisch - um sich auf die nächste Reise vorzubereiten.“ Nicht nur beim Lesen - richtige Bücher! - sind sie von der Retro-Haptik fasziniert, auch bei anderen Freizeitbeschäftigungen: „Die arbeiten lieber mit der Leica als mit Photoshop, und Vinyl finden sie interessanter als MP 3.“ Das liegt aber nicht daran, dass sie mit der digitalen Welt nicht zurechtkommen - im Gegenteil: „Die sind post-digital. Mit dem meisten Digitalen sind die schon durch.“
Das gilt dann sogar für Facebook: „Facebook hat erst 2010 in Deutschland angefangen. Und was haben uns viele Jugendliche 2016 erzählt? ,Facebook ist ja ganz nett, aber es ist eben das soziale Netzwerk unserer Eltern‘.“
Die Expeditiven - mit hohem Bildungsniveau und postmodernen Werten - sind eine der am stärksten wachsenden Gruppen, zusammen mit der Mitte, den Adaptiv-Pragmatischen. Die liegen sowohl bei der Bildung irgendwo in der Mitte als auch mit ihren Werten mitten in der Moderne. Sie tendieren zu Leistung und Erfolg, scheuen aber das Risiko.
Außerdem gibt es auch konservativ-bürgerliche Jugendliche, die traditionsbewusst sind, sich in Vereinen engagieren und häufig die Devise haben: „Dorfkind und stolz darauf“. Weitere vier jugendliche Lebensentwürfe stellte der Referent nicht näher vor. Auf jeden Fall aber haben alle „Jugendlichen“ - auch wenn es sie so nicht gibt - eins gemeinsam: Sie müssen in einer Welt zurechtkommen, die immer unübersichtlicher und schnelllebiger wird. Den pragmatischen Ansatz haben deshalb fast alle. Sie fragen immer erst: „Was bringt mir das, wenn ich das mache, was habe ich davon?“ Außerdem wollen sie sich alle Optionen offenhalten und auch ihre Werte flexibel an die Gegebenheiten anpassen. So also ticken Jugendliche vor allem - und Peter Martin Thomas lobt es: „Wir Eltern sind da irritiert. Aber diese Flexibilität ist eine wirklich gute Strategie.“