Kirchheim. Der Kirchheimer Gemeinderat ohne Walter Aeugle: Man wird sich daran gewöhnen müssen. Nach fast 35 Jahren hat er für sich erkannt, dass es an der Zeit ist aufzuhören. Den SPD-Fraktionsvorsitz hatte er schon rechtzeitig vor der Kommunalwahl an Marc Eisenmann abgetreten - und für die Wahl hat er einfach nicht mehr kandidiert. Alles Werben der Fraktionskollegen war vergebens, und auch das passt zu Walter Aeugles Art: Er hält an dem fest, wovon er überzeugt ist.
Angelika Matt-Heidecker ging bei der Verabschiedung auf die Eckpunkte in Walter Aeugles Gemeinderatskarriere ein: Drei Oberbürgermeister hat er seit Herbst 1984 erlebt. Für seine erste Wortmeldung ließ er sich reichlich Zeit, sie erfolgte im Juli 1985 - zum Thema „Linde“, die damals noch als „Jugendhaus“ firmierte. In der Zeit der Tschernobyl-Katastrophe musste Stadtrat Aeugle einmal eine Strafe zahlen, weil er über die „atomwaffenfreie Zone Kirchheim“ Vorgänge aus nichtöffentlicher Sitzung ausgeplaudert hatte.
„Ich kann mich an keinen Stadtrat erinnern, der so akribisch gearbeitet hat“, lobte ihn die Oberbürgermeisterin: „Berühmt, berüchtigt und gefürchtet war seine private Registratur, aus der er noch Jahrzehnte später Zeitungsausschnitte hervorziehen konnte.“
Auseinandersetzungen habe er nie gescheut - „auch nicht innerhalb der Fraktion“. Insgeheim habe er vielleicht das Ziel gehegt, „Ortsvorsteher des Schafhofs zu werden“. Das ließ sich nicht verwirklichen. Dafür aber hat er ganz zum Schluss noch etwas Wesentliches erreicht: „Lange Zeit haben Sie das Protokoll des Ältestenrats eingefordert. Das gibt es jetzt.“
Marc Eisenmann attestierte seinem scheidenden Genossen, dass er die Kommunalpolitik wie einen zweiten Beruf betrieben und dass er sich dafür sein halbes Leben lang zur Verfügung gestellt hat. Das berühmte Motto Willy Brandts - „mehr Demokratie wagen“ - hat Walter Aeugle für sich also vor Ort umgesetzt. Als er 1984 erstmals in den Gemeinderat einzog, war Willy Brandt immerhin noch SPD-Vorsitzender. Die Welt diskutierte damals über das Orwell-Jahr, und der VfB Stuttgart war der amtierende Deutsche Meister im Fußball.
Diese Aufzählung zeigt: Manches ändert sich rasch, anderes nie. Das meinte Walter Auegle wohl, als er selbst auf die Jahre 1984/85 einging und an die „angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt“ erinnerte, die auch damals das große Thema war. Dass er einmal auf nahezu 35 Jahre Mitgliedschaft im Gemeinderat zurückblicken könnte, hätte er nie für möglich gehalten: „Aber alles hat seine Zeit. Und jetzt ist es Zeit, zu gehen. Hier sitzen schon etliche Söhne von früheren Ratskollegen, und ich wollte nicht warten, bis auch noch die Enkel kommen.“
„Es war der Mühe wert“
Er stellte sich die Frage, ob sich Zeit und Aufwand gelohnt haben. Seine zurückhaltende Antwort: „Ich denke, es war der Mühe wert. Wir konnten eine ganze Menge auf den Weg bringen.“ Das Wichtigste aber war ihm das freundschaftliche Miteinander im Gremium - über die Fraktionsgrenzen hinweg: „Auch bei heftigen Diskussionen wurde es nie persönlich verletzend.“Andreas Volz