Elektriker, Bäckersgehilfe, Busfahrer: Franz Gere hat in seinem Leben viele Berufe ausgeübt. In der Region kennt man den Owener aber vor allem unter dem liebevollen Spitznamen „Nussa Franz“. Gere, der vor kurzem seinen 90. Geburtstag gefeiert hat, ist der älteste Verkäufer auf dem Kirchheimer Wochenmarkt. Mit seinem kleinen Stand, an dem es Nüsse und Honig zu kaufen gibt, steht er seit über 25 Jahren jeden Donnerstag und Samstag an der Ecke des Volksbank-Gebäudes.
Schaffen war mein Leben.
Franz Gere, Kirchheims ältester Markthändler
Eigentlich beginnt die Geschichte von „Nussa Franz“ aber weit, weit weg von Kirchheim: Franz Gere wird kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1935, in Soroksár, einem Vorort von Budapest, geboren, in dem zu dieser Zeit viele deutschsprachige Menschen leben. Sein Vater arbeitet als Schreiner, die Mutter ist Näherin. Doch der Krieg zerschlägt das gutbürgerliche Mittelstandleben: Der Vater wird 1943 ins ungarische Militär eingezogen und nach Russland geschickt. Die Familie hört nie wieder etwas von ihm. Auch seine Heimat wird dem Jungen genommen. Die Donauschwaben, zu denen Gere und seine Familie zählen, werden im großen Stil enteignet und ausgesiedelt: Mit einem Flüchtlingstransport kommen er, seine Mutter, die Großmutter und zwei weitere Verwandte nach Deutschland in die Teckregion. Dort gefällt es Franz Gere gut. Trotz der Umstände hat er viele positive Erinnerungen an seine jungen Jahre: „Ich hatte eine sehr schöne Kindheit“, fasst er zusammen.
Zwischen Fabrik und Sportplatz
Nach Abschluss der Schule hat der 14-jährige Franz Gere eine klare Vision für die Zukunft: Er möchte Elektriker werden. Weil es jedoch an Lehrstellen mangelt, hält er sich zeitweise mit kleineren Jobs über Wasser und hilft unter anderem bei einer Bäckerei in Ötlingen aus. „Die sind dann aber pleite gegangen. Wir haben zu viel selber gegessen“, witzelt der 90-Jährige.
Den Elektriker-Traum kann sich Franz Gere dann doch noch erfüllen: In Unterlenningen beginnt er eine Ausbildung und ergattert anschließend einen Job in der alten Papierfabrik Scheufelen. In den Genuss einer angenehmen Work-Life-Balance kommt er nicht. „Ich habe Tag und Nacht geschafft“, erzählt der Owener. Sein Rekord: 409 Stunden in einem Monat. Ist er nicht bei der Arbeit, geht er seiner Leidenschaft, dem Fußballspielen, nach: „Ich bin von der Fabrik auf den Sportplatz und dann wieder zurück ins Geschäft. Das hab‘ ich 10 Jahre lang gemacht.“
Doch die Arbeitslast wird selbst dem Workaholic irgendwann zu viel. Er entschließt sich, zu kündigen und tritt eine Stelle bei der Firma Leuze an, die damals noch auf Textil spezialisiert ist. „Da war ich dann 32 Jahre lang.“
Aus dem Ruhestand an den Markstand
Doch im Leben läuft nicht immer alles rund: Aufgrund gesundheitlicher Probleme tritt Franz Gere mit 60 Jahren verfrüht die Rente an. Seinen Ruhestand auf dem Sofa zu genießen, kommt für ihn aber auch nicht infrage. „Schaffen war mein Leben“, sagt er. Franz Gere entscheidet sich, wieder zu arbeiten. In den folgenden Jahren hat er mehrere Jobs, unter anderem ist er eine Zeit lang bei AMG beschäftigt und arbeitet bei einer Bausparkasse, denn hohes Alter hin oder her: Franz Gere ist Geschäftsmann. „Bei meiner Verabschiedung hat mir der Betriebsratsvorsitzende von Leuze gesagt: Der Franz hat immer gwisst, wo die D-Mark locker sitzt“, erzählt er lachend.
Das Marktleben ist schön.
Franz Gere, Kirchheims ältester Markthändler
Als Franz Gere vor mehr als 25 Jahren eine neue Geschäftsidee in Form einer störenden Tanne wittert, lässt er sich die Chance nicht entgehen. Der Baum, der sich auf seinem Grundstück befindet, muss weg. Eigentlich sind die Zweige aber zu schön für den Kompost. So stellt sich Franz Gere kurzerhand mit einem Campingtisch auf den Wochenmarkt. Für ein paar Groschen pro Stück verkauft er die Tannwedel sowie Bündel mit selbst geernteten Walnüssen. Das Geschäft brummt: Drei Markttermine und der Baum ist kahl. 496 D-Mark habe ihm die Tanne gebracht, erinnert sich Franz Gere. Besonders imponiert habe ihm aber das „Kollegiale“ auf dem Markt.
Ein Ende ist noch nicht in Sicht
Franz Gere hat eine neue Leidenschaft entdeckt. Mittlerweile sind „Nussa Franz“ und sein Stand, den er über das Jahr hinweg auch gerne mal dekoriert, vom Kirchheimer Markt nicht mehr wegzudenken. Zweige gibt es keine mehr, seinen Nüssen ist er aber treu geblieben. Auch Honig kann man bei Franz Gere kaufen. Der kommt übrigens von drei verschiedenen Imkern, wie Gere erzählt.
„Das Marktleben ist schön“, resümiert der Nussliebhaber. Besondere Freude bereitet ihm das Beobachten der Menschen, die zwischen den Ständen umherwuseln. „Da fällt mir zum Beispiel auf, dass die eine schon wieder dasselbe Kleid anhat oder manche immer hintereinander laufen“, verrät der 90-Jährige. „Das kann man alles beobachten.“
Auf dem Markt kennt Franz Gere inzwischen jeden – und jeder kennt ihn. „Das ist mein Leben“, meint der Rentner. Noch baut er seinen Stand selbst auf. Mit wachsendem Alter wird das – wie so vieles – aber stetig schwieriger. Franz Gere ist jedoch alles andere als auf sich gestellt. Zuhause wird er von seinen drei Söhnen und deren Familien unterstützt, und auch auf dem Markt greift man ihm gerne unter die Arme. Manchmal, so Gere, müsse er sich an Markttagen nicht einmal etwas zu Essen holen, weil er so oft von wohlwollenden Menschen beschenkt werde. Zu seinem Geburtstag hat der gesellige Owener von seinen Marktkolleginnen und -kollegen einen großen Geschenkkorb inklusive zahlreicher Glückwünsche bekommen. „Wir würden uns freuen, wenn Sie noch viele Jahre da sind“, steht auf einer Karte. Dem kann sich Nussa Franz nur anschließen: „Ich hoffe, dass ich es noch lange machen kann.“