Es ist Freitagnachmittag, 15 Uhr. Vor einer Stunde hat die Messe „Energetika“ ihre Türen geöffnet. Etliche Besucher schlendern bereits durch die dicht belegte Kirchheimer Stadthalle und das Foyer. Es riecht nach Räucherstäbchen. 79 Aussteller seien vertreten, sagt die Augsburger Messe-Chefin Julia Riedel. Darunter Heilpraktiker, Coaches, Lebens- und Ernährungsberater. Auch Kleidung, Kosmetik, Kräuter und Steine werden ausgestellt. Dazwischen bieten selbsternannte Heiler Produkte an, die angeblich vor Elektrosmog und sogenannten Chemtrails schützen. Andere versprechen, mithilfe von Berührung oder mit Unterstützung der Engel Blockaden und Angstzustände zu lösen. Manche Methoden werden gleich vor Ort demonstriert.
Keine wissenschaftlichen Belege
Wissenschaftlich belegt ist die Wirksamkeit solcher Verfahren und Produkte nicht. Zudem steht der Verdacht im Raum, dass zahlreiche Aussteller, die auf der „Energetika“ in Kirchheim präsent sind, in ihren Texten auf der Messe-Homepage Heilversprechen machen, die laut Heilmittelwerbegesetz (HWG) grenzwertig oder gar nicht zulässig sind. Das HWG regelt in Deutschland die Werbung für Heilmittel. Es verbietet unter anderem die Werbung mit Heilversprechen, wenn diese nicht wissenschaftlich anerkannt oder medizinisch belegt sind.
Wir fragen Julia Riedel nach verbotenen Formulierungen. Die wiegelt ab. „Heilversprechen gibt es hier nicht“, sagt sie. Man rate immer erst einmal dazu, zum Arzt zu gehen und sich untersuchen zu lassen. Dann könne man sich immer noch für eine alternative Therapie entscheiden. „Die Leute haben sich verändert seit der Pandemie“, sagt Riedel. „Die schauen: Was kann ich für mich selbst tun?“ Als der Teckbote Riedel mit Aussteller-Texten konfrontiert, die Heilversprechen enthalten, schwenkt sie um. „Jeder hier ist selbst verantwortlich für seine Werbung“, sagt sie.
Die Stadthalle, die in der großen Mehrheit seriöse kulturelle und politische Veranstaltungen beherbergt, gehört der Stadt Kirchheim. Die „Energetika“ ist dennoch nicht die erste umstrittene Veranstaltung, die dort Station machen darf. Im vergangenen Jahr fand am selben Ort die Ausstellung „Echte Körper – Von den Toten lernen“ statt. Der Organisator warb auf Plakaten, die an das Original „Körperwelten“ erinnern, mit einer „einzigartigen Ausstellung konservierter menschlicher Körper mit circa 200 Exponaten“.
Die Online-Bewertungen der Wanderausstellung, die regelmäßig durch Deutschland tourt, klingen wenig begeistert. Auf Eventim machen rund 50 Rezensenten ihrer Wut und Enttäuschung Luft. Die Rede ist von „Abzocke“ und einer „billigen Kopie“. „Die Präparate wirken alt, schlecht präpariert, abgenutzt“, schrieb eine Besucherin. Man habe nur bar bezahlen können, eine Registrierkasse habe es nicht gegeben.
Auch der Internetauftritt wirkt nicht sehr professionell. Die Texte, in der die Veranstaltung beschrieben wird, enthalten Rechtschreibfehler, als Kontakt ist lediglich eine Handynummer angegeben. Im Impressum fehlen gesetzlich vorgeschriebene Angaben.
Vor dem Beginn der „Energetika“ hat der Teckbote die Stadtverwaltung nach Kriterien für die Vermietung der Halle gefragt. „Grundsätzlich erfolgt seitens der Stadtverwaltung keine inhaltliche oder seriositätsbezogene Prüfung von Veranstaltern“, lautet die Antwort. Maßgeblich für die Vermietung der Stadthalle seien die Einhaltung der vertraglichen Rahmenbedingungen sowie die fristgerechte Zahlung von Miete und Kaution.
Kenner fordert Kriterien
Andernorts muss der Gemeinderat entscheiden, wer die städtische Halle mieten darf – und wer nicht. Das findet Andreas Kenner, Landtagsabgeordneter und SPD-Gemeinderat in Kirchheim, übertrieben. Kriterien für die Vermietung festzulegen, fände er hingegen wichtig. „In Kirchheim nimmt man offenbar jeden, der anfragt“, sagt Kenner.
Für den SPD-Stadtrat liegt das an der schwindenden Attraktivität der Stadthalle. „Es ist einfach ein Fehler, dass man nichts in die Sanierung gesteckt hat“, sagt Kenner. Er habe schon häufig die Rückmeldung bekommen, dass die Technik veraltet sei. Für den SPD-Stadtrat muss darüber diskutiert werden, ob und wie viel man in die Stadthalle investieren will. „Wenn wir da jetzt nicht irgendwann was machen, können wir die Halle zumachen“, sagt er.
Bettina Schmauder, Unternehmerin und Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler im Kirchheimer Gemeinderat, sieht bei der Vermietung der Stadthalle keinen akuten Änderungsbedarf. „Nur weil jemand schräg drauf ist, ist das für mich noch kein Grund, ihm die Halle nicht zu vermieten“, sagt sie. Ein No-Go wäre für sie, wenn „demokratiegefährdende oder gesetzeswidrige Dinge dort ausgestellt werden“. „Da würde ich auf jeden Fall widersprechen“, sagt sie.
Bei den Herausforderungen, die die Verwaltung zu bewältigen habe, sei die Stadthalle vielleicht einfach ein „Prio-B-Thema“, sagt Schmauder. Sie ist der Meinung, dass Kirchheim von einer „neuen attraktiven Halle“ enorm profitieren würde.
HinweisBei der Energetika war es dem Teckboten verboten, mit Ausstellern zu sprechen. Auch Fotografieren und Videoaufnahmen waren nicht erlaubt. Lediglich ein Interview mit Messe-Chefin Julia Riedel war zulässig.
Kommentar: Schutz vor Heilversprechen
Wer krank ist und nach Heilung oder Linderung sucht, ist mitunter so verzweifelt, dass er auf Menschen hereinfällt, die ihn glauben machen, sie hätten das Wundermittel für ihn parat. Um Kranke, aber auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger vor solchen Menschen zu schützen, gibt es ein Gesetz: das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Es verbietet die Werbung mit Heilversprechen, wenn sie nicht wissenschaftlich untermauert sind. Jemand, der mit unklarer Qualifikation Hypnose anbietet, darf also nicht einfach „emotionale Heilung“, eine „nachhaltige Veränderung“ oder „Hilfe in nur einer Sitzung“ in Aussicht stellen. Einem selbst ernannten Heiler ist es nicht erlaubt, mit der „Harmonisierung von Impfstoffen“ zu werben. Sofern es keine Studiennachweise gibt, darf ein Anbieter von Luftfiltern nicht behaupten, dass seine Produkte das Risiko minimieren, eine Atemwegserkrankung zu bekommen. Diese Werbebotschaften findet man jedoch auf der Ausstellerseite der „Energetika“, und niemand schützt die Besucher davor, auf solche Behauptungen hereinzufallen – nur ihr gesunder Menschenverstand.
Um zu verhindern, dass kranke Menschen wertvolle Lebenszeit und Geld mit unwirksamen Methoden verplempern, wäre es dringend nötig, dass staatliche Institutionen Gesetze wie das HWG auch wirklich anwenden. Warum das Gesundheitsamt Esslingen erst tätig wird, wenn Verbraucherbeschwerden vorliegen, anstatt bei einer selbst ernannten „Gesundheitsmesse“ aus eigenem Antrieb einen kritischen Blick auf die Aussteller zu werfen, muss man nicht verstehen.
Dass die Stadt Kirchheim in diesen finanziell düsteren Zeiten jeden Cent braucht, den sie für ihr Mietobjekt Stadthalle bekommt, ist klar. Dennoch sollte der Schutz der Bürgerinnen und Bürger Vorrang haben. Mieter wie die „Energetika“ machen deutlich, dass es Kriterien für die Vermietung der Halle braucht. Denn dass jemand – und das ist nur ein Beispiel –, der auf irgendeinem dubiosen Wege Hypnose „gelernt“ hat, auf kranke, womöglich traumatisierte Menschen losgelassen werden kann, ist ein Skandal, der schlimme Folgen haben kann. Eine Stadt wie Kirchheim kann das nicht verhindern, aber sie muss Ausstellern nicht auch noch dabei helfen. Antje Dörr