Frankreich hat den Mont Ventoux und Alpe d‘Huez, die Belgier den Oude Kwaremont und die Deutschen? Vielleicht seit Samstag die Ochsenwanger Steige. Die braucht zum Radfahren eigentlich keiner und hat den Ochsen nicht nur im Namen. Eine Ochsentour, zu steil, zu unrhythmisch, zu viel Verkehr. Ohne viele harte Trainingskilometer oder dem berühmten Rettungsring kommt hier allein mit Muskelkraft keiner flüssig hoch. Doch Profi-Radsport
Mit den ganzen Fans, das ist schon absolut mega hier.
Ex-Profi Rick Zabel war als TV-Experte in Ochsenwang und von der Kulisse begeistert.
sucht eben keine Ideallinien, sondern auch die große Show. Und die war am Samstag auf der vier Kilometer langen und bis zu 17 Prozent steilen Nordrampe des Bissinger Hausbergs maximal geboten. Scharen von Fans, Neugierigen und vor allem Hobbyradlern sorgten schon Stunden vor Ankunft der Rennfahrer für eine einzige rauschende Party und eine Kulisse, wie es sie hier zuvor noch nie gegeben hat.
In der letzten engen Serpentine hinauf zum Ochsenwanger Ortsschild war für die letzten Autos vor Sperrung der Strecke zeitweilig kein Durchkommen mehr. Als eine Motorradfahrerin mit ihrer schweren Maschine am Steilstück stecken blieb und nicht mehr von der Stelle kam, wurde es im wahrsten Sinne eng, denn von hinten nahm, angeführt von einer Motorradstaffel der Polizei, bereits die Spitzengruppe des Feldes den Einstieg bei Bissingen in Angriff. Gut eine Stunde nach dem Start kurz vor Mittag auf dem Marktplatz in Schwäbisch Gmünd machte die Strecke mit den Fahrern zum ersten Mal ernst.
Punkt 12.47 Uhr brach oben dann die Hölle los: Als der Norweger Jorgen Nordhagen (Visma) als Erster die letzte Kehre nahm, dicht gefolgt von einer Vierergruppe mit dem Tübinger Marius Mayrhofer (Tudor) gingen die Anfeuerungsrufe im Geheul der Polizeisirenen und dem Hupkonzert der Begleitfahrzeuge fast unter. Auf ihren Lokalhelden musste die Menge dann ganze drei Minuten länger warten: Jannik Steimle im Trikot der schweizer Equipe Q36.5 bog im vorderen Drittel des kontrolliert fahrenden Hauptfeldes im engsten Radius ganz innen um die letzte Kurve. Sollte wohl heißen: Extra-Meter gibt es auf dieser knallharten Königsetappe über 211 Kilometer und fast 3.000 Höhenmeter keine zu verschenken. Schließlich warteten von dort bis zur Zielankunft am Nachmittag in Villingen-Schwenningen noch anstrengende 170 Kilometer mit zahllosen Anstiegen auf der Alb und im Schwarzwald.

































Um 12.54 war der Spuk in Ochsenwang bereits vorbei. Während das Feld in rasendem Tempo Kurs auf Schopfloch und die Schlatterhöhe nahm, dauerte es rings um die Ochsenwanger Steige noch lange, ehe sich die Partymeile aufgelöst hatte. Eine lärmende Werbekarawane wie bei der Frankreich-Rundfahrt oder dem Giro gibt es bei der Deutschland-Tour zwar nicht, ganz ohne Gimmicks geht es aber auch hier nicht. Interessanter als die zweibeinige Banane des Hauptsponsors, die am Ende des Feldes einem Begleitfahrzeug entstieg, war der Mann hinterm Steuer: Rick Zabel hatte bereits Tage zuvor in der ARD die Werbetrommel für Ochsenwang gerührt. Für ihn markiert die Bissinger Teilgemeinde den Kulminationspunkt der diesjährigen Deutschland-Tour. Der Mann mit dem klangvollen Namen, der im Mai seine aktive Laufbahn als Profi beendet hat, begleitet die Deutschland-Tour als TV-Experte und war am Samstag von der Kulisse schwer beeindruckt. Ob Ochsenwang das neue Alpe d‘Huez der Schwaben ist? „Sieht fast so aus“, meinte Zabel. „Mit den ganzen Fans hier, das ist schon absolut mega. Gefällt uns sehr.“ Ob er die Steige selbst schon mal unter die Laufräder genommen hat? Zabel: „Bisher noch nicht, aber das muss man jetzt ja wohl.“
Es waren Bilder, wie sie die Tour-Organisatoren um Ex-Profi Fabian Wegmann sehen wollen. Einziges Manko: Das ZDF lieferte erst ab 15.25 Uhr Livebilder von der Etappe. Ohne Frage, die Deutschland-Tour ist dabei, an frühere Zeiten anzuknüpfen und wirbt um ihren Ruf als
Ich war vom Einstieg bis oben mit Gänsehaut unterwegs.
Jannik Steimle hat die Kulisse am Anstieg nach Ochsenwang genossen .
hochklassig besetzte nationale Etappenfahrt im Rennkalender. Während die Vuelta zurzeit durch Spanien rollt, klettern Stars wie der dänische Weltmeister Mads Pedersen, Sprintkönig Jonathan Milan oder der norwegische Klassiker-Spezialist Alexander Kristoff über die Hügel der Schwäbischen Alb und sorgen für Renommee beim Veranstalter.
Und Jannik Steimle? Der 28-Jährige, der seit Jugendjahren zwischen dem Etappenort Schwäbisch Gmünd und der Albhochfläche jedes Steinchen am Straßenrand kennt, der hier schon Abertausende Trainingskilometer abgespult hat, raste an diesem Samstag nur einen Steinwurf von seinem Elternhaus entfernt durch seinen Heimatort Weilheim. Vorbei an der Familie, die im unteren Teil der Steige Stand bezogen hatte, oben durchs Spalier unzähliger Fans. „Eine solche Kulisse hatte ich nicht erwartet,“ gesteht er. „Ich war vom Einstieg bis oben mit Gänsehaut unterwegs.“ Aus seiner Sicht wichtig: Die Form, die wegen einer Erkältung anfangs noch gefehlt hatte, kommt nach drei Tagesabschnitten langsam zurück. „Leider ein paar Tage zu spät, aber ich bin mega zufrieden.“ Bei der erneuten Massenankunft in Villingen-Schwenningen, dem Zielort der Etappe, die zum zweiten Mal der Italiener Jonathan Milan für sich entschied, leistete Steimle Tempoarbeit für seinen Teamkollegen Fabio Christen, der vor dem Schlusstag im Gesamtklassement mit 24 Sekunden Rückstand aussichtsreich auf Platz acht liegt.
Zur Tour findet sich eine Bildergalerie auf dieser Website. Ein Video dazu gibt es auf Instagram.