Ein offener Brief soll möglichst viele Menschen in Kirchheim erreichen. Es geht um wichtige politische Botschaften, die Oberbürgermeister Pascal Bader in Übereinstimmung mit allen Fraktionen und Gruppierungen des Gemeinderats
übermitteln will. „Es gibt eine zunehmende Zahl an Geflüchteten“, sagt der Oberbürgermeister im Gespräch über die Hintergründe des offenen Briefs. Zwei Fragen würden sich in diesem Fall aufdrängen: „Wie gehen wir als Stadt damit um? Und wie erkennen wir, ob eine Grenze des Leistbaren erreicht ist?“
Seit 2015 habe die Stadt rund 1 600 Menschen aufgenommen, seit Beginn des Kriegs vor zwei Jahren knapp 550 Menschen aus der Ukraine. Aktuell nehme die Zahl der Menschen zu, die nicht aus der Ukraine stammen. „Das ist eine schwierige Situation für uns alle“, stellt der Oberbürgermeister fest und meint dabei nicht nur die Stadtverwaltung und den Gemeinderat, sondern alle Menschen, die in Kirchheim leben.
Eine wirkliche Wahl hat die Kommune nicht: „Wir sind verpflichtet, Geflüchtete aufzunehmen.“ Die Quote besagt, dass sieben bis acht Prozent der Geflüchteten, die in den Landkreis Esslingen kommen, der Stadt Kirchheim zur Anschlussunterbringung zugewiesen werden. Betroffen von der Frage, wo und wie diese Menschen unterzubringen sind, ist aber nicht nur die Stadt. Auch der Landkreis suche dringend Möglichkeiten für die vorläufige Unterbringung.
Aktuell befänden sich rund 200 Personen in der vorläufigen Unterbringung in der Kirchheimer Charlottenstraße. „Da wurden bisher zehn Prozent, also 20 Personen, auf die Anschlussunterbringung angerechnet. Das wird jetzt auf 30 Prozent erhöht, also auf 60 Personen“, erklärt Pascal Bader. Das bedeute insofern eine Entlastung, als Kirchheim demnach für 60 Personen weniger eine Anschlussunterbringung bereitstellen muss, als es die eigentliche Zuweisungsquote erfordern würde.
Einen weiteren Standort für die vorläufige Unterbringung in Kirchheim entwickle der Landkreis derzeit an der Ecke Schöllkopf- / Boschstraße. Aber auch das werde nicht reichen. Noch sei es völlig unklar, wann und wo weitere Geflüchtete untergebracht werden können – sowohl vorläufig als auch in der Anschlussunterbringung. Stadt und Landkreis setzen aber auf frühzeitige Information, sobald sich neue Möglichkeiten auftun.
„Wir wollen die Bevölkerung mitnehmen und unsere Pläne transparent machen“, erklärt Pascal Bader. Das gehe weit über die Wohnbebauung hinaus. Zu klären seien in den kommenden Informationsveranstaltungen auch Fragen der Integration, der Hausleitungen und vieles mehr. Gespräche sollen auch in kleineren Gruppen stattfinden und nicht nur im Plenum. Wer die Info-Abende besucht, hätte dadurch die Möglichkeit, sich besser und direkter einzubringen.
Alle im Blick behalten
Eine dritte wichtige Botschaft des offenen Briefs bezieht sich auf die Menschen, „die schon lange hier leben, aber keine Geflüchteten sind“. Gerade diese Menschen dürfe die Stadt nicht aus dem Blick verlieren: „Nicht jeder hat genügend Geld, um auf dem freien Markt eine bezahlbare Wohnung zu finden.“ Im aktuellen Doppelhaushalt der Stadt sei viel Geld für den Wohnbau vorgesehen. Der Eigenbetrieb Städtischer Wohnbau Kirchheim plane Projekte im Lindorfer Weg, im Veilchenweg, in der Spitzwegstraße und im Gebiet Schafhof IVb.
Zur Anschlussunterbringung sei ein Teil des Kirchheimer Güterbahnhofsgeländes vorgesehen sowie ein Areal in den Langen Morgen. Zusätzlich sei die Stadt daran interessiert, nach Möglichkeit größere Gebäude zu erwerben, die bereits vorhanden sind, um auch dort Wohnraum für Geflüchtete bereitstellen zu können.
Oberbürgermeister Pascal Bader zeigt sich erfreut darüber, dass alle sieben Fraktionen und Gruppierungen des Gemeinderats in diesem Fall am selben Strang ziehen: „Alle haben erkannt, dass der Druck zunehmend größer wird. Wir haben uns zwei Mal zusammengesetzt, um den Text für den offenen Brief zu entwerfen. Das war kein sonderlich schwieriger Prozess, weil alle die wesentliche Botschaft unterstützen: Die Unterbringungspflicht stellt für uns eine schwierige Situation dar. Wir wollen offen darüber informieren, wie wir in dieser Lage handeln können. Und wir wollen auch alle anderen Menschen, die keine geeignete Wohnung finden, auf keinen Fall vergessen.“
Auszüge aus dem Schreiben von OB und Gemeinderat
Der offene Brief soll ab Samstag, 2. März, in voller Länge auf der Homepage der Stadt Kirchheim zur Verfügung stehen. Hier folgen einige Auszüge:
„Die weltpolitische Lage und gesetzliche Verpflichtung machen es erforderlich, weitere Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete zu schaffen. [...] Voraussichtlich im Herbst werden am Güterbahnhof Wohnflächen für bis zu 80 Personen bezugsfertig sein. Um der Unterbringungspflicht nachzukommen, ist es notwendig, auch noch weitere Standorte für die Schaffung von Wohnraum für die Unterbringung zu prüfen.“
„Ein besonderer Aspekt liegt auf dem sozialen Wohnungsbau, denn auch die Zahl der Einheimischen, die schon sehr lange auf der Suche nach Wohnungen mit günstigen und bezahlbaren Mieten in unserer Stadt sind und die von der Stadtverwaltung mit Wohnraum zu versorgen sind, steigt stetig an.“
„Uns ist sehr wohl die Dimension der derzeitigen Herausforderungen bewusst. Dennoch stehen wir in aller Klarheit zu unserer Verpflichtung, Menschen, die in Not sind, bestmöglich aufzunehmen. [...] Gleichzeitig sehen wir mittlerweile auch die Erschöpfung und Überforderung vieler Menschen durch zwei Jahre Pandemie, Energiekrise, Krieg und nun einer nie dagewesenen Flüchtlingskrise.“
„Daher unterstützen wir auch die Initiativen der kommunalen Landesverbände, die sich für eine Aufgaben- und Standardkritik und eine finanzielle Entlastung der Kommunen bei Bund und Land genauso einsetzen wie für eine schnellere und konsequente Bearbeitung von Asylanträgen.“ vol
Der Offene Brief ist abrufbar auf der Website der Stadt.