Kirchheim
Ohne Pensionäre geht an Schulen nichts

Fast überall sind reaktivierte Lehrkräfte unverzichtbarer Teil des Unterrichts. Ein System, das funktioniert, aber auch kritisch hinterfragt wird – vor allem mit Blick auf den künftigen Ganztagesbetrieb an Grundschulen. 

Bei den Kindern beliebt, als Fachmann seltener Luxus an Grundschulen: Der Sportlehrer und ehemalige Leistungssportler Klaus Flakus gibt an der Grundschule in Holzmaden Sportunterricht – mit 75 Jahren.  Foto: Carsten Riedl

Sie kämpfen gegen Vorurteile und schlechte Arbeitsbedingungen. Dass viele Lehrkräfte nach dem Eintritt in den Ruhestand trotzdem einfach weitermachen, hat gute Gründe: Ohne sie fiele an so gut wie jeder Schule im Land Unterricht aus. Pensionäre sind längst zum festen Bestandteil in der Personalplanung geworden – ob als Krankheitsvertretung oder mit Vollzeitvertrag.

Klaus Flakus könnte seit einem Jahrzehnt seinen Ruhestand genießen. Stattdessen steht der 75-Jährige noch immer Woche für Woche in der Halle und erteilt in der Holzmadener Grundschule Sportunterricht. In den ersten Jahren nach seiner Pensionierung war das fast ein Vollzeitjob, verteilt auf mehrere Schulen. Inzwischen ist sein Wochenpensum auf sechs Stunden geschrumpft. Dadurch kommen die Grundschüler in Holzmaden in einen nach wie vor seltenen Genuss: Sport wird an ihrer Schule nicht fachfremd unterrichtet. Flakus ist ausgebildeter Sportlehrer und ein einst erfolgreicher Zehnkämpfer. Bis 2019 stand er als Nachwuchs-Bundestrainer in Diensten des Deutschen Leichtathletikverbands. „Mir macht die Arbeit mit Kindern nach wie vor Spaß“, sagt er. „Ich nehme allerdings auch ein Gefühl von Verpflichtung wahr. Was Personal angeht, laufen wir in der Grundschule gegen die Wand.“

 

Was Personal angeht, laufen wir in der Grundschule gegen die Wand.

Klaus Flakus unterrichtet mit 75 Jahren in Holz­maden im Fach Sport.

 

Steht ein Jahr vor Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf Ganztagesbetreuung an Grundschulen also bereits die Regelversorgung auf wackligen Beinen? Nein, widerspricht die Leitende Direktorin am Staatlichen Schulamt in Nürtingen, Dr. Corina Schimitzek. „Die Regelversorgung funktioniert.“ Anders sieht es jedoch im Falle von Krankheit aus. „Wir erleben im Moment eine ungewöhnlich hohe Zahl an Atemwegsinfektionen auch in den Kollegien“, unterstreicht Schimitzek. „Kein Betrieb oder System der Welt kann solche Phasen auffangen.“ Zwar steht jeder Schule ein personeller Puffer von 3,5 Prozent als sogenannte KV-Reserve im Krankheitsfall zu. „Der ist allerdings schon am ersten Tag nach den Sommerferien im Einsatz“, räumt Schimitzek ein.

Für Schulen bedeutet das: Sie sind gezwungen, ein möglichst engmaschiges Netz an Kontakten zu unterhalten und zu pflegen. In aller Regel sind das pensionierte Kräfte. 70 Stunden pro Jahr können Schulleitungen in eigener Regie in Form sogenannter „Handschlagverträge“ vergeben – weitgehend steuerfrei. Ein Dreh der Schulverwaltung im Land, der sich bewährt hat. Lehrervertretungen wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) stecken allerdings im Zwiespalt: „Ist es unsolidarisch, wenn ich mich ehemaligen Kollegen verweigere, die dann zwei Klassen zu versorgen haben, oder ist es notwendig, damit die Regierung endlich erkennt, dass es so nicht weitergehen kann?“, fragt sich die GEW-Seniorensprecherin im Land, Barbara Haas.

Thorsten Bröckel ist als Geschäftsführender Schulleiter Sprachrohr der Kirchheimer Schulen. Er kennt die Probleme seiner Kolleginnen und Kollegen und erlebt sie selbst in verschärfter Form. Als Rektor einer Ganztagesschule mit Versorgungsauftrag darf bei ihm Unterricht nicht einfach ausfallen. An der Alleenschule sind deshalb ein halbes Dutzend pensionierter Lehrkräfte im Einsatz, die den Laden am Laufen halten. „Ohne die wäre es schwierig“, betont Bröckel. „Im Moment müssen wir uns alles Mögliche einfallen lassen, um Ausfälle aufzufangen.“

Gezielte Förderung kommt zu kurz

Ähnliches erlebt auch seine Kollegin Theresa Breier an der Grund- und Werkrealschule in Oberlenningen. „Wir bekommen es noch ganz gut hin“, sagt die Rektorin. „Ich weiß aber, dass es an anderen Schulen anders aussieht.“ Was sie sich wünscht, wären mehr Kapazitäten, um sich gezielt um Förderung und
Diagnostik kümmern zu können, etwa bei Lese- und Rechtschreibschwächen. Vor allem mit Blick aufs bevorstehende Jahr. „Denn das sind genau die Stunden, die wegfallen, wenn der Ganztagesbetrieb kommt“, sagt Breier.

Wie fast überall, wird Zusammenhalt in Lenningen großgeschrieben. Erich Merkle, bis vor wenigen Jahren noch Rektor der Schule, ist selbst noch mit vereinzelten Stunden im Einsatz, während andere Pensionäre per Anstellungsvertrag sogar in Vollzeit arbeiten. So wie Martin Siwek: Seit zwei Jahren eigentlich im Ruhestand, unterrichtet er momentan in der sechsten Klasse als Klassenlehrer – nach 45 Dienstjahren. Er würde weitermachen, wenn man ihn lässt. „Dass sich an der Personalsituation so gravierend etwas ändert, dass man uns Alten nicht mehr braucht“, sagt er, „das glaube ich nicht.“